Initiative 55 plus-minus: Vom Schwei?kurs bis zum Senioren-Single-Treff Drucken E-Mail

thumb_1dieterzorbachi55RHEIN-LAHN. „Immer jünger werden die Menschen, die sich aus dem Berufsleben verabschieden. Ob Rentner oder Pensionäre – ein unschätzbarer Wert an Wissen und Fähigkeiten wird so der Gesellschaft entzogen.“ Als Dieter Zorbach nach seiner Pensionierung als Realschulrektor dieser Gedanke in den Kopf kam, war ihm klar: Es muss eine Möglichkeit geben, dieses Wissen zu nutzen und zu pflegen. Mit fünf Gleichgesinnten gründete er im Jahr 2005 die „Initiative 55 plus-minus“.

Menschen in der zweiten Lebenshälfte bietet die „Initiative 55 plus-minus“ im evangelischen Dekanat St. Goarshausen ein Forum, Interessen nachzugehen, für die sie während des Berufslebens keine Zeit hatten oder ihr erworbenes Können an andere weiterzugeben. Mehr als 60 Menschen hatten die ersten sechs Projekt im Gründungsjahr der Initiative Anfang 2005 angenommen. Die Zahl wuchs kräftig an: 494 Teilnehmer bei 49 Veranstaltungen in 2005/2006, 1741 Teilnehmer bei 163 Veranstaltungen in 2006/2007. Die anfangs sechs Projekte wuchsen über 14 in 2006 und 26 in 2007 auf 35 im Bildungsjahr 2008 an. Die Teilnehmer im Alter zwischen 42 und 89 Jahren kommen aus den Verbandsgemeinden Nastätten, Loreley, Bad Ems, Nassau, Braubach sowie aus Hessen und St. Goar.

thumb_1i55schweisskursklRegionale Geschichte erforschen, Lese-Patenschaften, die Organisation von europäischen Bildungsreisen, der Austausch über gesellschaftspolitische und wissenschaftliche Fragen, aber auch das Briefeschreiben am Computer, der künstlerische Umgang mit einem Schweißgerät oder die Aneignung anderer handwerklicher Fähigkeiten gehören zu den vielfältigen Angeboten, die die Generation 55 plus-minus hinter dem Ofen hervorlockt und Gleichgesinnte aufsuchen lässt.

thumb_1i55lesepatenEines der Beispiele erläutert Karin Götz aus Holzhausen: Sie hat eine Vorlesegruppe gegründet. „Vorlesepaten können sich in Kindergärten und Schulen, bei Lesungen in Buchhandlungen oder in Seniorenheimen und an vielen anderen Orten engagieren“, so Götz. Ein Dutzend Mitstreiter hatte sie schnell zusammen. Ebenso viele geschichtsinteressierte Menschen aus der Region hat Dr. Ernst Brod aus Patersberg zusammengebracht. „Wer sich über seine Aktivitäten und Erfahrungen austauscht, bekommt Tipps und wird zu weiteren Arbeiten angeregt.“

thumb_1i55musikgruppekl„Gott oder nicht Gott?“ hatten Barbara und Klaus Jürgen List einen ihrer ersten themenorientierten Gesprächskreise überschrieben, der Menschen zu Diskussionen zusammenführen soll, denen es in ihrem sozialen Umfeld vielleicht an Gesprächspartnern mangelt. Auch andere Fragen, die Menschen bewegen, sollen in dieser Projektgruppe aufgegriffen werden. 20 Gleichgesinnte haben sich gemeldet. Selbst initiierte Bildungsreisen, ob nach Polen oder England, in denen es vor allem um den Kontakt mit den polnischen Bürgern gehen soll, sind schnell ausgebucht. Und selbst ein ganz praktisches Angebot, nämlich den Umgang mit einem Schweißgerät zu erlernen, wurde in die Tat umgesetzt. „Ich wollte das schon immer mal lernen, hatte während des Berufslebens aber nie Zeit dazu“, erklärt Zorbach.

Neue Projektgruppen kommen in jedem Jahr dazu, andere verschwinden wieder. So haben sich Leute gemeldet, die einen Tanztreff gründen, Wissen aus Kirchenbüchern ableiten, jungen Menschen den Berufseinstieg erleichtern wollen oder einen Single-Treff für Senioren gründen. „In unserer Gesellschaft ist die Wertschätzung des Individuums in Gefahr, wenn er nicht genügend Nutzen abwirft, nicht ins Bild von Jugendlichkeit, moderner Kompetenz und Preiswürdigkeit passt“ erläutert der pensionierte Realschulrektor aus Bornich den Grund, warum er mit Gleichgesinnten diese Bildungsform für Menschen „in der zweiten Lebenshälfte“ entwickelt hat. „Aber der Mensch ist ein in allen Altersklassen von Gott geliebtes, einzigartiges Geschöpf“, so Zorbach.

thumb_1muetzenlewentzi55Schüler seien neugierig auf die Welt und aufgeschlossen für alles, würden ihre Interessen und Einsichten in ihren Bildungsprozess einbringen, weiß der ehemalige Schulleiter. Die Älteren hätten Wissen und Erfahrungen. „Sie wollen sich austauschen über ihre Kenntnisse und Erfahrungen. Sie wollen über Jahre gewonnene Eindrücke hinterfragen und deuten, um sich immer noch an der Gestaltung der Wirklichkeit zu beteiligen.“ Die Initiative wolle ermutigen, Ideen und Interessen dieser Altersklasse gemeinsam mit anderen zu entwickeln und partnerschaftlich zu realisieren. „Ältere haben die Aufgabe, neue Formen der Teilhabe an der Gesellschaft zu finden und soziale Kontakte ohne die bisherigen beruflichen Notwendigkeiten zu knüpfen.“

Die Gesellschaft werte Menschen meist nur noch nach ihrer beruflichen Produktivität. Die Initiative mache deutlich, dass der Mensch zu mehr geschaffen wurde als Geld zu verdienen und dass er auch jenseits des Berufslebens wichtig für die Gesellschaft sei, erklärt Dekan Matthias Moos, warum das evangelische Dekanat St. Goarshausen das ehrenamtliche Engagement der Initiative unterstützt.

 Wer Interesse hat, sich in der Initiative einzubringen, kann mit ihr unter Telefon 06771/94974 Kontakt aufnehmen oder sich im Internet informieren unter www.i55plusminus.de.

Bildunterzeilen:

Auch außerhalb des Berufslebens sind Wissen, Erfahrung und Interessen von Menschen jenseits der „50“ für eine Gesellschaft wichtig, sagt Dieter Zorbach, Ideengeber der Initiative 55 plus-minus im evangelischen Dekanat St. Goarshausen.

Der Wunsch, Schweißen zu lernen, wurde verwirklicht.

Karin Goetz (rechts) suchte nach Lesepaten und wurde fündig.

Musikanten fanden mit der Initiative zueinander.

Innenstaatssekretär Roger Lewentz brachten die Polen-Reisenden der Initiative eine Polizei-Mütze mit.