Demenz-Forscher in Bad Ems: Frühe Diagnose entlastet Betroffene

thumb_1a-10dnbe080517fellquer_becrima-BAD EMS/NASSAU. (10. Mai 2017) (Geistiges) Altern ist keine Krankheit. Demenz ist eine Krankheit. Mit dieser Feststellung warb Professor Dr. Andreas Fellgiebel, einer der führenden Forscher Deutschlands im Bereich Altern, Neurodegeneration und Demenz, um eine frühzeitige medizinische Diagnose, warum das Gedächtnis in Mitleidenschaft gezogen wird. Fellgiebel war Festredner zum Auftakt der Feierlichkeiten zum zehnjährigen Bestehen des Demenz-Netzwerks Bad Ems-Nassau im Sitzungssaal des Bad Emser Rathauses.

thumb_1a-10dnbe080517publikum_becrima-"Die Leute kommen erst, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist“, berichtete Fellgiebel von der Erfahrung aus der Gedächtnis-Ambulanz der Uni-Kliniken in Mainz, dessen wissenschaftlicher Leiter er ist. 50 bis 60 Prozent vermeintlicher Demenzfälle seien gar nicht diagnostiziert. Dabei könne eine frühzeitige Diagnose dazu beitragen, mit einer Demenz, deren häufigste Ursache eine Alzheimer-Erkrankung ist, gut leben zu können.

Der Referent schilderte „normale“ Alterungsprozesse, die Stadien von Alzheimer sowie Therapieformen. Als Gründe für eine frühe Diagnose – ob in der Gedächtnis-Ambulanz oder neurologischen Einrichtungen in der Region – nannte Fellgiebel: den Wunsch nach Klärung von thumb_1a-10dnbe080517pixilzg_becrima-Seiten der Betroffenen, den Ausschluss von Erkrankungen mit anderen Therapiemöglichkeiten, eine Prognose für die weitere Lebens- und Versorgungsgestaltung sowie die frühe Heranführung betroffener Familien an bestehende Versorgungsnetzwerke, um bedarfsgerechte Hilfen ermitteln zu können.

Bereits ab einem Alter von 30 Jahren verlangsame sich die Verarbeitungsgeschwindigkeit von Informationen im Gehirn. Im Hochleistungssport, in dem es um Hundertstel Sekunden Reaktionszeit geht, sei das etwa eine bemerkbare Altersgrenze. „Sie werden auch mit 40 noch nicht spüren, aber wenn sie mal 50 sind, lässt die Leistungsfähigkeit schon etwas nach“, so der Chefarzt der Gerontopsychiatrie in Alzey. „Spielen sie mit ihren Enkeln Memory! Da können sie noch so intelligent sein – sie werden verlieren!“, beschrieb Fellgiebel den Abbau der „flüssigen Intelligenz“ im normalen Altern im Gegensatz zur „kristallinen Intelligenz“, die bildungs-, erfahrungs- und sozialisationsabhängig sei und bis ins hohe Alter stabil bleiben oder sogar gesteigert werden könne.

thumb_1a-10dnbe080517fellgiebel_becrima-Die Häufigkeitskurve von Demenz steigt ab einem Alter von 80 Jahren rasant an. Fellgiebel: „Gebildete Menschen bekommen sieben bis zehn Jahre später Demenz“. Typische Syndrome in der Entwicklung von Alzheimer seien ein Nachlassen von Kurzzeitgedächtnis und Merkfähigkeit, Probleme bei Wortfindung und Aufmerksamkeit; die Schwelle zur Demenz werde erreicht, wenn zeitliche Orientierung sowie planendes Denken und Handeln nachlassen. Schließlich funktioniere die Organisation des Alltags nicht mehr.

Begleitet werde diese Entwicklung von emotionalen Veränderungen wie Traurigkeit, einer Affektlabilität, Reizbarkeit, Apathie oder einem sozialen Rückzug, „weil die Betroffenen Angst vor einer Stigmatisierung haben und die Fassade wahren wollen“. Dabei verstärkten Rückzug und Isolation die Krankheit zusätzlich. Der Referent sprach über aus seiner Sicht vielversprechende neue Medikamente sowie Tabletten, die kaum Wirkung haben. Auch das Glas Rotwein könne protektiv sein; wichtig seien körperliche Aktivität und geistige Trainings sowie ein Maßhalten bei Kalorien im Alter.

Entgegen demografisch gestützter Prognosen sei die Häufigkeit der Demenz eher rückläufig. „Zumindest sieht es so aus“, sagte Fellgiebel und nannte eine steigende Bildung sowie die bessere Behandlung vaskulärer Risikofaktoren wie den Blutdruck als mögliche Ursachen dieser Entwicklung. Ein Lob richtete der Neurologe an die Demenz-Netzwerke. „Sie sind da in vielen Dingen schon weiter als die Medizin, wo es noch viele offene Fragen gibt“, sagte Fellgiebel. Mehr Wissensvermittlung und -austausch wünschte er sich im Bereich der Hausärzte sowie mehr Pflegeexperten in den Wohnungen Betroffener. Bernd-Christoph Matern

Zu den Fotos:
Motivierte für eine frühzeitige Diagnose beim Verdacht auf Demenz: Professor Dr. Andreas Fellgiebel, einer der führenden Demenzforscher Deutschlands. Viel Applaus und Anerkennung gab es für das zehnjährige Wirken des Demenz-Netzwerks, unter anderem von Professor Fellgiebel, Staatssekretär David Langner, Bürgermeister Josef Oster, Landrat Frank Puchtler und Patrick Landua von der Landeszentrale für Gesundheitsförderung (Bild oben rechts, 1. Reihe von links). Fotos: Matern

Zehn Jahre Aufklärung und Hilfe bei Demenz

Netzwerk Bad Ems-Nassau erinnert an Gründung – Langner: Großer Gewinn für Betroffene

thumb_1a-10dnbe080517langner_becrima-BAD EMS/NASSAU. (15. Mai 2017) Voll besetzt war der Sitzungssaal der Verbandsgemeinde im Bad Emser Rathaus, wo das Demenz-Netzwerk Bad Ems-Nassau an seine Gründung vor zehn Jahren erinnerte und den Startschuss für das Jubiläums-Programm gab. Nicht nur der Fachvortrag fand Beachtung; auch das Netzwerk selbst fand große Anerkennung.

Als großen Gewinn für Betroffene und Angehörige bezeichnete der rheinland-pfälzische Staatssekretär im Sozialministerium David Langner das 2007 gegründete Bündnis, dem aktuell 19 soziale Einrichtungen und kirchliche Institutionen in den beiden Verbandsgemeinden an der Lahn angehören. Das Demenz-Netzwerk unterstütze als eines von derzeit etwa 40 im ganzen Land ein Ziel der Demenzstrategie in Rheinland-Pfalz, in allen Regionen starke Netzwerke zu haben, die gemeinsam an einem nahtlosen Unterstützungs- und Teilhabesystem arbeiten, betonte Langner. Deshalb begleite seit 2009 auch die Landeszentrale für Gesundheitsförderung in Rheinland-Pfalz (LZG) Netzwerke wie die im Rhein-Lahn-Kreis. „Sie tragen dazu bei, das Recht von Menschen mit Demenz auf Selbstbestimmung, Mitbestimmung, Teilhabe und Unterstützung zu fördern“, so Langner, der aus Erfahrungen im eigenen Umfeld berichtete, wie schnell aus dem ehemals interessierten ein hilfsbedürftiger Mensch werden könne.

thumb_1a-10dnbe080517landrat_becrima-Dass es im Netzwerk nicht nur um medizinische Fragen, sondern das Miteinander für Betroffene, Angehörige und auch pflegende Berufsgruppen geht, sagte Landrat Frank Puchtler (rechts) in seinen Glückwünschen. „Es ist auch ein Standortfaktor für unseren Kreis, wie Menschen mit Menschen mit einem Handicap umgehen“, so Puchtler. Josef Oster, Bürgermeister der Verbandsgemeinde Bad Ems, wies darauf hin, dass das Netzwerk eine Kommune bereichere, die sich als Gesundheitsstandort verstehe.

thumb_1a-10dnbe080517hauser_becrima-Die Politiker waren nicht die einzigen Gratulanten, die Stefan Hauser, Sprecher des Netzwerks, begrüßte. „Die Wilden Alten“, thumb_1a-10dnbe080517wildealte_becrima-ein Senioren-Rock-Pop-Chor aus dem Bereich Katzenelnbogen (Foto rechts), eröffneten den Jubiläumsakt. „Als ich vorschlug, ein Lied von den Ärzten zu singen, sagte mein Chor, das sie so gebrechlich noch nicht seien“, scherzte Dirigent Joachim Stegemann. Deren Hit „Westerland“ und selbst Getextetes wie „Mach mit!“ brachten ordentlich Schwung in den Eröffnungsabend.

thumb_1a-10dnbeinfotafeln_becrima-Zeitungsausschnitte an Stellwänden, Info-Material an Tischen und eine kleine Chronik auf den Sitzen führten die Arbeit des Netzwerks in den vergangenen zehn Jahren noch einmal vor Augen. „Anders als in anderen Regionen des Landes lag im Rhein-Lahn-Kreis der Focus auf kleinräumigeren Einheiten, ohne dabei den Zusammenhang auf Landkreisebene zu vernachlässigen“, erinnerte Stefan Hauser an die Entstehung. Dabei sei es ein Glück gewesen, dass die damaligen Beratungs- und Koordinierungsstellen, die heutigen Pflegestützpunkte der Regionen, sich der Thematik damals bereits angenommen hatten. Im Bereich von Diez und Lahnstein gab es so schon Netzwerk-Strukturen. Aktuell werde an einer gemeinsamen Internet-Präsenz und einheitlichen Informationsblättern gearbeitet.

thumb_1a-10dnbe080517parcours_becrima-Dank sagte Hauser allen Netzwerkpartnern, den Sponsoren des Jubiläums sowie insbesondere dem Stiftungsfond „Diadem“ der Diakonie Hessen, dem Landesministerium sowie der Landeszentrale für Gesundheitsförderung. Dieser ist zum Jubiläum auch ein Demenzparcours zu verdanken, der auf sehr unterhaltsame Weise für die Erkrankung sensibilisiert und erlebbar werden lässt, wie scheinbar einfachste Alltagsbeschäftigungen zur Herausforderung für Demenzkranke werden.

Anschließend kredenzte das AZURIT Seniorenzentrum Lahnstein zur Feier des Tages noch einen kleinen Imbiss und die Stiftung Scheuern Säfte, um sich über die Krankheit und das Netzwerk auszutauschen.

Der Demenzparcours des Landesnetzwerks Rheinland-Pfalz kann nach Voranmeldung noch bis Freitag, 19. Mai besucht werden im Haus der Kirche in Bad Ems sowie im Sozialkompass Nassau in der Gerhart-Hauptmann-Straße. Anmeldungen unter Telefon 02603-5750.

Am Mittwoch, 17. Mai, 17 Uhr, liest im Rahmen der 10-Jahres-Feier der Buchautor Erich Schützendorf aus seinem Buch „Demenz– eine Reise in das Andersland“ im Kulturkeller des Günter-Leifheit-Kulturhauses in Nassau (Obertal 9a). Bernd-Christoph Matern

Zu den Fotos:
Staatssekretär David Langner nannte das Netzwerk einen großen Gewinn für Betroffene und die Angehörigen von an Demenz erkrankten Menschen. Eine Station des Demenz-Parcours, den es in Bad Ems und Nassau zu durchlaufen gibt, wurde zur Eröffnung im Rathaus aufgebaut (rechts unten). Fotos: Bernd-Christoph Matern