Afrika-Austausch 2017 bringt neue Sicht aufs eigene Leben

thumb_1bilder_david_dropbox_148_von_275RHEIN-LAHN/MABIRA. (8. September 2017) „Jina langu Sarah. Nina miaka ishirini na moja.“ Mit diesen Worten stellt sich Sarah Fischer aus Eppenrod vor und informiert ihre knapp 200-köpfige Zuhörerschaft in einer Kirche wie alt sie ist: 21. Sarah ist eine von zehn jungen Erwachsenen, die an einer dreiwöchigen Jugendbegegnung zwischen dem evangelischen Nassauer Land und dessen Partnerdistrikt Mabira teilnehmen, einer ländlichen, abgeschiedenen Region im Nordwesten Tansanias. Eine Reise, die den jungen Leuten eine neue und andere Sicht auf ihr eigenes Leben vermittelte.

Neun der zehn Teilnehmenden sitzen während des Gottesdienstes auf bunten Plastikstühlen in einer Kirche, vollständig mit Stroh ausgelegt. Der Zehnte sowie der Betreuer der Gruppe sind thumb_1_mabira_artikel_12_von_20mit Magenproblemen im Domizil der Gruppe geblieben. Sie vertragen das Essen nicht. Die Kirchengemeinde sitzt auf dem Boden; einige Wenige, die Kirchenältesten, haben auf maroden Holzbänken Platz gefunden. Es sind viele Kinder dort, sehr viele. Sie alle betrachten die Gäste aus dem fernen Deutschland und lauschen, wie sie sich der Reihe nach vorstellen – manche, wie Sarah, machen dies auf Suaheli.

Die Gemeinde lacht dann oder klatscht, wenn sie die Weißen ihre Sprache sprechen hört. „Es hilft sehr, einige Worte in der Landessprache zu kennen, um mit den Einheimischen in Kontakt zu kommen, zumal viele Menschen in Mabira nur wenig oder gar kein Englisch sprechen.“, sagt Sarah. Sie begrüßt jetzt Fremde und Freunde in Mabira mit „Jambo“. Der Gottesdienst dauert gut zwei Stunden, es wird gebetet und gesungen, wie in Kirchen des Nassauer Landes auch. Doch vieles ist anders, nicht zuletzt die Zahl der Anwesenden. Viele von ihnen haben einen weiten und beschwerlichen Weg auf sich genommen, um dabei zu sein.

thumb_1_mabira_artikel_3_von_20Die Gottesdienste sind jeden Sonntag so voll, wie in Deutschland nur an Heilig Abend. „Religion und Kirche haben einen hohen Stellenwert in Mabira. Ich habe bei den Menschen einen tiefen Glauben gespürt, der von großem Vertrauen zeugt“, meint Jonas van Baajen aus Cramberg. Der 26-Jährige glaubt allerdings, dass dies auch daran liegt, dass den afrikanischen Menschen im Alltag weniger geboten wird als in seiner Heimat. „Die Kirche hier macht es einfacher, bietet Gemeinschaft und Struktur – die Menschen kommen, jedoch sicher auch aus Mangel an Alternativen.“

Zum Ende jedes Gottesdienstes wird die Kollekte eingesammelt, und neben Geld bieten einige Gemeindemitglieder Erzeugnisse aus der Landwirtschaft dar: Kochbananen, Bohnen, Erdnüsse, Maracujas, auch mal ein Huhn oder eine Ziege. Diese werden dann nach dem Gottesdienst vor der Kirche versteigert. Die Gruppe aus dem Nassauer Land erwirbt heute Zuckerrohr für die Kinder der Gemeinde – diese knabbern glücklich an der süßen Pflanze.

thumb_1_mabira_artikel_4_von_20thumb_1_mabira_artikel_5_von_20Eine Woche zuvor wurde noch emsig gearbeitet. Ein Pfarrhaus sollen die jungen Erwachsenen errichten, gemeinsam mit Jugendlichen aus Tansania, die aus dem gesamten Distrikt Mabira angereist sind. Sie schleppen gemeinsam selbstgebrannte, rote Ziegel, mischen Zement mit Schaufeln und setzen Stein auf Stein. Der Organisator der Reise auf tansanischer Seite und Pfarrer in Mabira, Jerryson Mambo, ist begeistert von den tüchtigen jungen Deutschen, insbesondere von den Frauen. Der Arbeitseinsatz dient auch der Begegnung der sich noch fremden Jugendgruppen, die sich bald anfreunden und Zeit finden, sich auszutauschen über ihre sehr unterschiedlichen Leben.

„Die Herausforderungen der tansanischen Jugendlichen sind anders als die der Deutschen“, sagt Torsten Knüppel, Dekanatsjugendreferent im Nassauer Land. „Es ist nicht einfach, Bildung zu finanzieren – gerade in Mabira. Auch wenn man eine gute Ausbildung genossen hat, ist eine Anstellung nicht sicher. Die Zukunft junger Menschen ist hier geprägt von Unbestimmtheit, nichts ist garantiert; auch deswegen wollen viele bei der Kirche arbeiten, Pfarrer oder Evangelist werden.“ Denn die Kirche bietet ihnen Sicherheit und Zukunft – eine Perspektive, die Staat und Wirtschaft ihnen nicht geben können.

thumb_1_mabira_artikel_8_von_20Oft werden die Anfang 20-Jährigen aus Deutschland von den tansanischen Jugendlichen gefragt, ob sie schon verheiratet sind. Nein, keiner ist verheiratet und das sei auch ganz gut so. Eine Antwort, die die Fragesteller überrascht – das Durchschnittsalter von Frauen, die in Mabira heiraten, liegt bei 16 Jahren, erzählt Dr. Benson Bagonza, der Bischof der evangelisch-lutherischen Karagwe-Diözese, zu der auch der Distrikt Mabira gehört, den Deutschen. Und ja, einige Männer haben mehrere Frauen, leben polygam. Das erkenne die Kirche jedoch offiziell nicht an. Dennoch: es wird geduldet, denn das sei ein Teil der Tradition, der Kultur. „Die Familienstrukturen sind nach wie vor ziemlich patriarchalisch, es gibt eine klare Rangfolge in der Familie – das ist nicht mit Deutschland zu vergleichen“, erzählt Jonas van Baajen.

thumb_1_mabira_artikel_1_von_20Auf ihrer Reise können die jungen Erwachsenen aus Deutschland das echte Mabira erleben und kommen so manchmal ganz nah ran. Glaube und Kirche sind ein wichtiger Schlüssel, um die Menschen dort zu verstehen. Die Jugendgruppe nimmt an wichtigen Lebensstationen von Christen in Mabira teil: so sehen sie Taufen, besuchen die außergewöhnliche Hochzeit eines Freundes, der 2015 Gast in Deutschland war und sind Ehrengäste auf der Beerdigung eines 99-jährigen, der nur wenige Meter von seinem ehemaligen Wohnhaus entfernt bestattet wird. Auch erkunden sie Bananenplantagen, besuchen einen Frauenchor-Wettbewerb, einen Markt, Schulen, ein Krankenhaus und wohnen einem Volksfest, dem Uhuru Torch, bei, mit dem an die Unabhängigkeit Tansanias erinnert wird.

All diese Erfahrungen und Erlebnisse und Gespräche mit unterschiedlichen Menschen verdichten sich zu eindrücklichen Erkenntnissen: „Für mein gesamtes Leben nehme ich mit, dass die Menschen in Tansania mit dem Wenigen, was sie haben, sehr glücklich sein können und ein Leben führen, das wirklich lebenswert ist“, stellt der 22-jährige Carl Henrich aus Cramberg fest und hofft, dass sich dieses Bewusstsein auch in seinem Alltag festigt. „Der Blick auf die Welt verändert sich, das gilt für alle Teilnehmer solch einer Jugendbegegnung“, weiß Torsten Knüppel. „Sie kehren mit neu erworbenen interkulturellen Kompetenzen nach Deutschland zurück.“ Die jüngste Teilnehmerin der Jugendbegegnung, die 18-jährige Stephanie Kurz aus Nassau sagt: „Die Reise hat mich fremden Menschen gegenüber offener gemacht.“ Und auch bei ihr bleibt vor allem eine Einsicht: Es braucht nicht viel, um glücklich zu sein.

Projekt stärkt Selbstbewusstsein der Frauen

41 Gruppen profitieren derzeit von Unterstützung aus dem Dekanat Nassauer Land

thumb_1_mabira_artikel_15_von_20Maria Vienni ist 39 Jahre alt, eine Witwe mit sieben Kindern, sechs Mädchen und einem Jungen. Nicht alle ihre Kinder können zur Schule gehen, erzählt sie, dafür reicht das Geld nicht. Dennoch: von den Darlehen, die Maria durch ein Frauenprojekt erhält, das vom Dekanat Nassauer Land unterstützt wird, gewinnt sie mehr Selbständigkeit. Sie kann Fleisch und Gemüse kaufen, die sie zu Suppe weiterverarbeitet und frisch zubereitet auf dem lokalen Markt anbietet. Mit dem Geld und ihrer Idee gewinnt sie ein großes Stück Sicherheit und Freiheit, erhöht ihren eigenen und den Lebensstandard ihrer Kinder. Zudem findet sie Gemeinschaft und Verständnis bei den Frauen in ihrer Gruppe.

Maria ist ein Beispiel von vielen. Frauen, gerade Witwen, haben es schwer in Mabira, viel schwerer als Männer. Mit dem Ziel, diese besonders arme und gefährdete Gruppe vor Ort zu stärken, startete der Arbeitskreis Mabira des Dekanats Nassauer Land ein Frauenprojekt, um deren wirtschaftliche Situation zu verbessern. Die Maßnahmen dieses Projekts sollen Frauen in Mabira ein neues Selbstbewusstsein geben, in dem sie lernen, sich selbst zu versorgen, so die Hoffnung des Arbeitskreises. Die Frauen organisieren sich in Gruppen nach Kirchengemeinden, wählen Anführerin und Schatzmeisterin und werden dabei von der Projektkoordinatorin Ester Pasifiko vor Ort unterstützt.

thumb_1_mabira_artikel_11_von_20thumb_1_mabira_artikel_6_von_20Diese besucht die Frauengruppen, ist für die Organisation des Projektes zuständig und berichtet an den Arbeitskreis. Die Maßnahmen des Frauenprojektes umfassen Seminare, regelmäßige Gruppentreffen und die Auszahlung von kleinen Darlehen, so genannten Mikrokrediten. Den Besuchern aus Deutschland berichtete sie von derzeit 41 solcher Gruppen in Mabira mit einer durchschnittlichen Größe von 30 bis 50 Frauen. Die Seminare bilden in Bereichen wie Hauswirtschaft, der gezielten Verwendung der Darlehen und anderen für die Frauen relevanten Themen. In den Treffen kümmert sich die Gruppe um die Finanzen, zudem wird gemeinsam gesungen und gebetet oder an handgemachten Teppichen und Körben aus gefärbtem Stroh und an bestickten Bettlacken gearbeitet, die die Frauen verkaufen.

Als Darlehen erhalten die Gruppenmitglieder Geldmittel in Höhe von umgerechnet 10 bis 30 Euro. Das ist nicht viel, ermöglicht den Frauen dennoch, ihren Lebensstandard deutlich anzuheben. Sie kaufen so beispielsweise Samen, um in Kleingärten Landwirtschaft zu betreiben, erwerben Hühner für den Eierverkauf. Oder sie halten Tiere wie Schweine und Ziegen, deren Fleisch und Milch sie verkaufen. Wieder andere erwerben Waren des täglichen Bedarfs und verkaufen sie mit geringen Margen auf dem nächsten Markt. Einnahmen und Selbstständigkeit, die das Projekt fördert, stärken die Position der Frauen in Familie und Gesellschaft und machen sie so nachhaltig unabhängiger von Hilfen ihrer Familien.

thumb_1_mabira_artikel_9_von_20Zehn Prozent Zinsen zahlen die Frauen für ihr Darlehen, das nach nur sechs Monaten zurückgezahlt wird. Laut Esther Pasifiko klappt das fast immer ohne Probleme. Die gesammelten Zinsen bezahlen die Projektkoordinatorin und die Seminare – eine Investition also, die dem Projekt zurückgeführt wird und dazu beiträgt, dass die Frauen sich immer besser selber helfen können.

„Die Gemeinschaft und der starke Zusammenhalt in der Gruppe wurden dabei immer wieder als besonders wohltuend geschildert“, berichtet Katharina Matern aus Singhofen von ihren Eindrücken aus sechs Frauengruppen, die sie während des Aufenthalts besucht hat. „Bei Problemen unterstützen sich die Frauen gegenseitig, helfen einander aus, pflegen sich bei Krankheit.“ Kreditvergabe und -rückzahlung bewirkten vor allem: „Die Frauen fühlen sich geschätzt und die Aufmerksamkeit, die ihnen durch das Projekt zuteilwird, tut ihnen gut“, so die Beobachtung der 23-Jährigen. Sie seien dankbar für die Unterstützung, der Zugewinn an Lebensqualität ganz offensichtlich.

Motor für Gesellschaft und Kirche

Torsten Knüppel, Dekanatsjugendreferent und Betreuer der Jugendbegegnung 2017 zwischen dem Dekanat Nassauer Land und Mabira, ist bewusst, dass die Lebensbedingungen für Frauen in Mabira sehr schwierig sind. So es keine Selbstverständlichkeit, dass Frauen der Kontakt zur Kirche erlaubt ist. „Doch gerade für die Kirchen sind die Frauengruppen sehr wichtig geworden. In Mabira sind die Frauen Motor der Familien und der Gesellschaft“, erzählt er nach seinem Besuch. Die Förderung sei eine lohnende Investition zumal durch die Gruppen auch mehr Frauen in die Kirche und somit zum Glauben kämen.  

Staub auf der Lunge

Persönliche Eindrücke von David Metzmacher

thumb_1_mabira_artikel_13_von_20Ich war in Tansania, in der Kagera-Region in Mabira; die liegt im Nordwesten des Landes in der Nähe des größten Sees Afrikas, dem Viktoriasee. Weit weg also von Millionenstädten wie Dar es Salaam, den Bergen des Kilimandscharo-Massivs oder der Serengeti, mit ihren Safaris, Massais und wilden Tieren. Nein, Mabira ist alles andere als ein Touristen-Ziel. Nur wenige Weiße verirren sich in diese abgelegene Region mit ihren hügeligen Landschaften, den zahlreichen Bananenplantagen und den freundlichen Menschen, die noch zu wenig in ihrem Leben gesehen haben, um gierig zu sein.

Besucht doch mal ein Weißer Mabira, so kommt er meist mit der evangelischen Kirche, die seit Jahrzehnten partnerschaftliche Verbindungen zur evangelisch-lutherischen Kirche in Tansania pflegt. Für mich war es nach 2013 der zweite Aufenthalt. Die Gegend ist stark von Religion und Kirche geprägt. „Hast du hier keine Religion, hast du keine Identität“, sagt mir Reverent Mambo auf Englisch. Ich glaube ihm. 90 Prozent der Bevölkerung sind Christen, die restlichen Muslime. Die Menschen, die dort leben, sind Bauern, wohnen in einfachen, selbstgebauten Lehmhäusern auf Shambas, weitläufige Bananenplantagen, die die Landschaft prägen. Wenn sie nicht reich sind und keinen Wassertank haben, holen sie Wasser an öffentlichen Tanks oder Wasserstellen – nur wenige Kinder verlassen das Haus auf ihrem weiten Fußweg zur Schule ohne einen Kanister, mit dem sie nach dem Unterricht Wasser holen.

Die Gegend ist arm, und doch reich an Nahrung, es gibt wenige Anstellungen und Perspektiven für junge Leute – die streben, wenn sie gebildet sind, in die Städte. Erst seit wenigen Jahren stehen Stromleitungen in Mabira, fließend Wasser gibt es nicht. So anders die Menschen dort im Vergleich zu Deutschland leben, so einfach kommt im Gespräch mit den Einheimischen die Erkenntnis, dass es nicht viel braucht, um glücklich zu sein – der Mensch gewöhnt sich an alles, ist in der Lage sich anzupassen. Und so gewöhne auch ich mich schnell an das fremde Essen, das Schlafen unter einem Moskitonetz, an die Kinder, die einem hinterher winken und an den Staub, den große Fahrzeuge auf roten Straßen aufwirbeln und der sich bei unseren Fußballspielen auf die Lunge legt.

Zurück in Deutschland möchte ich bewusster leben, nachhaltiger einkaufen, anders konsumieren. Ich schreibe per Whatsapp mit meinen neuen und alten Freunden aus Mabira – mit denen, die ein Smartphone haben, die sich eins leisten können. Es ist schön, sich so austauschen zu können; ich will nicht wissen, was Briefe nach Mabira kosten – ob sie ankommen würden? Und noch eine Erkenntnis nehme ich mit: Wenn wir nicht alles dafür tun, die Infrastruktur des Landes zu verbessern und Menschen meines Alters eine Perspektive für das Leben und Arbeiten in ihrer Heimat zu bieten, dann müssen wir uns über eine Völkerwanderung von Süd nach Nord nicht wundern.

Deshalb sind die zahlreichen Projekte des Arbeitskreises Mabira so wichtig: Sie verbessern nachhaltig die Lebensqualität der Menschen vor Ort und geben ihnen realistische Chancen für eine bessere Zukunft. Und sie geben jungen Erwachsenen wie mir und den anderen Teilnehmern der Jugendbegegnung einen korrigierten Blick auf die Welt. Einen Blick, der nicht geschlossen und in sich gekehrt ist, sondern weit und weltoffen. Einen der hilft, die globale Verantwortung erkennen zu lassen, die wir alle tragen.  

Zu den Fotos:
Anpacken beim Hausbau, Hochzeit feiern und den Alltag Gleichaltriger im Partnerdistrikt Mabira kennen lernen – dafür nutzten zehn junge Leute aus dem Rhein-Lahn-Kreis jetzt einen dreiwöchigen aufenthalt in Tansania. Fotos: David Metzmacher

 

Einen Video-Beitrag über die Begegnuung finden Sie hier.