Zehn Jahre Nastätter Tafel: Kein Grund zum Feiern

thumb_1a-10nt-helfer190917_becrima-NASTÄTTEN/RHEIN-LAHN. (26. September 2017) Im April 2007 eröffnete das Diakonische Werk (DW) Rhein-Lahn nach der ersten Tafel in Diez auch in Nastätten eine Ausgabestelle. Die Nachfrage im Bereich der Verbandsgemeinden Nastätten und Teilen der Loreley ist seither enorm gestiegen. Der ehrenamtliche Einsatz in der Tafel ist unverändert hoch. Das soll auch während einer Jubiläumsveranstaltung am Sonntag, 8. Oktober um 10 Uhr zum Ausdruck kommen.

"Zehn Jahre Tafel – das ist beileibe kein Grund zum Feiern“, sagt die Leiterin des DW Rhein-Lahn in Bad Ems Ulrike Bittner-Pommerenke. „Wir hätten uns das anders gewünscht; denn eigentlich ist es eine Schande, dass Menschen in einem der reichsten Länder der Erde auf eine solche Einrichtung angewiesen sind, um über die Runden zu kommen“, weist die Leiterin auf soziale Missstände hin, die vor allem mit den Hartz-IV-Reformen in Gang gesetzt worden seien.

Daran erinnert sich auch DW-Mitarbeiter Oliver Krebs, der die Nastätter Tafel mit seinen Erfahrungen aus Diez und vielen ehrenamtlichen Kräften aus der Taufe hob. „Wir haben damals in unseren Beratungsstellen gemerkt, dass es den Leuten vorn und hinten nicht mehr zum Leben reicht“, erinnert sich Krebs an die Situation, bevor sich das Werk entschied, auch eine Tafel in Nastätten einzurichten. Den Satz „Wir haben nichts mehr zum Essen zuhause“ habe er damals sehr häufig in den Sprechstunden für Sozialhilfeempfänger zu Ohren bekommen. „Das berührt einen ja auch als Berater, weil es existenzielle Nöte sind, mit denen man da konfrontiert wird“, sagt der Diplom-Sozialarbeiter.

Anregungen holte sich das Diakonische Werk Rhein-Lahn von der Tafel in Grünberg. „Für uns war das absolutes Neuland“, so Bittner-Pommerenke. Dort schauten sie sich auch das „Kisten-System“ ab. Das bedeutet: Bevor die Tür zur Tafel geöffnet wird, sind die Lebensmittel bereits in Kisten verteilt, die ganz konkreten Haushalten und Einzelpersonen zugeordnet sind. „Damit kann auch der Letzte, der kommt, noch in aller Ruhe seine Sachen einsortieren, und die Waren gehen nicht nur an die Ersten und Stärksten, wenn alles in der Mitte zum Aussuchen hingelegt wird.“ Ebenso wichtig war den Verantwortlichen, dass sachlich überprüft wird, wem die Tafel die Tür öffnet. „Nicht der, der meint, bedürftig zu sein, sondern der es auch ist, soll von der Einrichtung profitieren“, so die DW-Leiterin.

Dass die wachsende Armut in der heimischen Bevölkerung gebremst wird und die Tafeln überflüssig macht, blieb ein frommer Wunsch. „Mit solch einem Bedarf und Ansturm hätten wir vor zehn Jahren nie gerechnet, als wir das kleine Lädchen in der Oberstraße eröffneten.“ Ein paar Zahlen: etwa 30 Haushalte wurden nach der Eröffnung der Nastätter Tafel einmal in der Woche mit Lebensmitteln versorgt. Mittlerweile sind es mehr als doppelt so viele; etwa 180 Personen kommt das Angebot zugute; die Warteliste mit „berechtigten“ Interessenten ist länger geworden. Der Kinderanteil ist nach wie vor sehr hoch, zumal Familien bevorzugt mit Lebensmitteln versorgt werden, die von einem Dutzend Supermärkten rund um Nastätten bis nach St. Goarshausen stammen; Waren, die noch unbedenklich zu verzehren sind. Neben Familien gehören auch junge Singles und verwitwete Alleinstehende jenseits der 80 zum Klientel. 2015 kamen verstärkt Flüchtlingsfamilien hinzu.

Die Crux: abgesehen davon, dass den Verantwortlichen viel eher an einer Politik gelegen wäre, die Tafeln wieder unnötig macht, lässt sich das Angebot nicht beliebig erweitern. „Schließlich wäre das mit noch höherem Arbeitsaufwand und steigenden laufenden Kosten verbunden“, klagt Bittner-Pommerenke. Mehr Miete, mehr Nebenkosten, größere Kühlschränke und Transportfahrzeuge – das alles müsse bei null Einnahmen gestemmt werden. Rund 16.000 Euro betragen die Fixkosten im Jahr. „Die Tafel existiert ja allein auf Spendenbasis.“ Dankbar ist Bittner-Pommerenke deshalb für finanzielle Unterstützung wie die der Paulinenstiftung, die immer wieder bei Modernisierungen half, um auch den strengen Hygiene-Anforderungen zu genügen.

Ohne das ehrenamtliche Engagement von etwa 40 Frauen und Männern, die dort ihre Freizeit opfern, um die Tafel zu organisieren, die Lebensmittel abholen, die Waren sortieren und ausgeben, wäre die Einrichtung ohnehin undenkbar. Das Engagement sei bis heute noch immer enorm hoch, was nicht selbstverständlich sei. „Ich weiß, dass sich mancher Helfer sogar rechtfertigen muss, warum er Dinge tut, die der Staat erledigen müsse“, weiß Bittner-Pommerenke. Den Helfern ist ihre Arbeit wichtiger als solches Geschwätz. „Zupacken statt Weggucken“ lautet deren Devise.

„Als Rentner habe ich doch Zeit. Da ist es toll, etwas Gutes tun zu können“, sagt Heinz Hülse aus Bettendorf. Zusammen mit Klaus Schiefke aus Miehlen hat er an diesem Morgen seit 7.30 Uhr ein Dutzend Märkte und Geschäfte zwischen Katzenelnbogen, Nastätten und St. Goarshausen angefahren, um Lebensmittel einzusammeln. Zweimal in der Woche passiert das. „Wir sind ein relativ flottes Team und gegen 11 Uhr durch“, so Hülse.

In der Tafel selbst warten Ellen und Hans Basset mit Michaela Güse an diesem Morgen auf die Lieferung, um sie in die Kühlschränke beziehungsweise in die roten Kisten einzusortieren, aus denen sich später die Kundschaft bedient. „Einmal möchte ich, dass nicht so viele Lebensmittel einfach auf dem Müll landen; da blutet mir das Herz, wenn ich sehe, was alles weggeschmissen wird“, begründet Ellen Basset, warum sie sich seit fast fünf Jahren alle zwei Wochen beim Aus- und Einsortieren der Waren in der Nastätter Tafel engagiert und wenn Not an Hilfe ist, auch schon mal bei der Ausgabe hilft. „Zum Anderen ist mir auch der Kontakt mit den Menschen, die hier reinkommen, sehr wichtig“, so Basset; „man bekommt ja in den Gesprächen viel für sich selbst zurück.“

Dafür zu danken, dass diese Einstellung auch nach zehn Jahren noch nicht verloren ging und dass in dieser Zeit immer wieder Menschen bereit waren, mit anzupacken, deshalb gestaltet das Mitarbeiter-Team zusammen mit Pfarrer Kristian Körver einen Gottesdienst zum zehnjährigen Bestehen der Nastätter Tafel und zwar am Sonntag, 8. Oktober um 10 Uhr in der evangelischen Kirche. Für Mitarbeiter und geladene Gäste schließt sich ein kleiner Empfang im Gemeindehaus an.

Informationen zur Nastätter Tafel gibt Ulrike Bittner-Pommerenke unter Telefon 02603-962330. Bernd-Christoph Matern

Zum Foto:
Fünf der rund 40 ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer, die die Nastätter Tafel ermöglichen (von links): Hans Basset, Michaela Güse, Heinz Hülse, Klaus Schiefke und Ellen Basset. Fotos: Matern

Auf einen Blick in Zahlen*

900 Das Verteilernetz der Lebensmittelretter zieht sich über ganz Deutschland. Seitdem die erste Tafel 1993 gegründet wurde, sind mittlerweile mehr als 900 Tafeln hinzugekommen.

60.000 Ohne das Engagement der 60.000 Ehrenamtlichen wären die Tafeln in Deutschland undenkbar. Sie spenden ihre Freizeit und ihren Elan für die Tafel-Idee.

200.000 Die Tafeln retten jährlich zirka 200.000 Tonnen Lebensmittel und geben sie an Bedürftige weiter.

15 15 Prozent beträgt die Armutsquote in Deutschland.

1.500.000 Etwa 1,5 Millionen Menschen werden jedes Jahr von den Tafeln unterstützt.

2000 Damit die Lebensmittel von den Supermärkten und Bäckereien zu den Tafeln gelangen, sind mehr als 2000 tafeleigene Fahrzeuge unterwegs.

*Angaben Bundesverband Deutscher Tafeln