Freiheit evangelisch und katholisch: Durch Taufe an Gott gesichert

thumb_1a-gfk300817weigel_dmetzmacher-POHL/RHEIN-LAHN. (27. Oktobber 2017) „Die Gedanken sind frei“, sang das kleine, dem Chor Ad hoc Vocal entsprungene „Spontan-Ensemble“, das zu diesem Namen kam, da es sich sehr kurzfristig für den Auftritt im Pohler Limeskastell zusammengefunden hatte. Keine Frage: Die Liedauswahl passte als Einstieg in den mit den Schlüsselbegriffen „Glaube – Freiheit – Kirche“ betitelten Diskussionsabend, zu dem das Evangelische Dekanat Nassauer Land eingeladen hatte. Und auch wieder nicht.

Denn wie Bernd-Christoph Matern, Öffentlichkeitsreferent der Evangelischen Kirche Rhein-Lahn und Moderator der Veranstaltung, eingangs klarstellte: „Martin Luther hat den Begriff thumb_1a-gfk300817moderation_metzmacher-der Freiheit lange vor Immanuel Kant geprägt, aber auch wieder anders als später in der Aufklärung.“ Aber dessen ungeachtet ein Freiheitsbegriff, der an seiner Zeit gemessen außerordentlich revolutionär war, löste er sich doch von der Vorstellung, der Mensch müsse sich die Gunst Gottes durch gute Taten verdienen, und sprach allein dem Glauben diese Bedeutung zu.

Wie prägt Luthers Definition von Freiheit heute, fast 500 Jahre nach seiner Denkschrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“, das religiöse und gesellschaftliche Leben? In welchem Verhältnis stehen evangelische und katholische Christen im 21. Jahrhundert zu ihm? Aufschluss gaben in Pohl zwei hochinteressante Impulsvorträge, für die Renate Weigel, Dekanin des evangelischen Dekanats Nassauer Land, und Dr. Georg Poell, Bezirksreferent des katholischen Kirchenbezirks Limburg, verantwortlich zeichneten. „Der Christenmensch ist im Klettergeschirr am Berg angeseilt, an steilsten, gefährlichen Hängen und Klippen mit dem Karabinerhaken Jesus Christus an Gott gesichert“, beschrieb Weigel in bildhafter Sprache das Mensch-Gott-Verhältnis aus der Sicht Luthers.

thumb_1a-gfk300817_co_u_bletzer-Diese Sicherung geschehe in der Taufe und verleihe dem Menschen die Freiheit, die er brauche, um Verantwortung für andere zu übernehmen. Und: „Sie macht uns alle gleichberechtigt vor Gott.“ So sei für Luther das Pfarramt mit keinerlei höheren Weihen verbunden gewesen. Die von Luther skizzierte Gleichberechtigung habe maßgeblich die Demokratisierung der evangelischen Kirche geprägt, betonte die Dekanin und führte als Beleg die Theologische Erklärung der Bekenntnissynode von Barmen aus dem Jahr 1934 an, mit der sich Teile der evangelischen Kirche gegen die Vereinnahmung durch die Nationalsozialisten wehrten: „Wir haben keine Herrscher außer dem einen. Und vor dem stehen wir alle gleich.“

Mit der Ordination von Frauen habe sich die evangelische Kirche allerdings lange Zeit mehr als schwer getan: „Frauen hatten keine Chance. Und kämpften doch!“ Und zwar mit Luthers Theologie im Rücken, wie der folgende von Renate Weigel zitierte Satz der Religionspädagogin Elsbeth Overbeck demonstriert: „Wir haben ein Pfarramt, das dient, und das Recht zu dienen hat noch keine Zeit den Frauen versagt.“ Stichwort Sexualität. Aus Luthers Sicht entspreche sie dem göttlichen Schöpfungswillen, so die Dekanin. Aber: „Er hat Sexualität immer in der Ehe und immer als Heterosexualität gesehen.“ Hier habe sich die evangelische Kirche entscheidend weiterentwickelt – abzulesen etwa daran, dass sie mittlerweile die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare zulässt.

Ein weiterer Reibungspunkt: Luthers Judenfeindlichkeit mit all ihren menschenverachtenden Konsequenzen. „In Martin Luthers Geist sagt die evangelische Kirche: Da hat sich Martin Luther geirrt“, stellte Weigel klar und fügte hinzu: „Im Reformationsjahr bezeugt sie erneut die Erwählung der Juden und Gottes Bund mit ihnen.“ Entscheidende Impulse, aber auch einiges an Angriffsflächen bietet der Reformator aus heutiger Sicht also.

thumb_1a-gfk300817poell_dmetzmacher-Auch für einen katholischen Theologen und Philosophen wie Dr. Georg Poell, der den zweiten Impulsvortrag hielt. Das philosophische Nachdenken über Freiheit sei eigentümlich, weil Freiheit nicht beweisbar sei, stieg er in seinen Part ein. „Ich kann nur von meinen eigenen Erfahrungen ausgehen“, unterstrich der Referent – und machte deutlich, dass sich sein Freiheitsbegriff nicht weit von dem Martin Luthers entfernt bewegt. Denn: „Wenn ich die Erfahrung von Freiheit gemacht habe, verpflichtet mich das, dafür zu sorgen, dass auch andere diese Erfahrung machen können.“

Poell, der die Bibel als „Freiheitsgeschichte Gottes mit den Menschen“ bezeichnete, betonte: „Ein Gott, der die Freiheit der Menschen nicht achtet, wäre moralisch abzulehnen.“ Die entscheidende Frage sei für Luther aber, wie die Menschen ihre Freiheit leben, fügte er hinzu: „Und an dieser Stelle ist er für mich als Katholik sehr interessant. Ich fände es schön, wenn er für verschiedene Konfessionen Vorbild und Autorität wäre.“ Wenn der Satz „Freiheit soll sein“ gelte, dann tue er dies auch für die Kirche und das kirchliche Handeln, ließ Poell keinen Raum für Zweifel: „Er verpflichtet zum politischen Engagement. Wir sind Kirche, weil wir den Menschen zu dienen haben.“

Dabei müsse völlig klar sein, dass alle Menschen gleichberechtigt sind. „An dieser Stelle habe ich mitunter Schwierigkeiten mit den katholischen Amtsvorstellungen“, gestand er freimütig ein, betonte aber zugleich, das Bistum Limburg lebe den Prozess der Demokratisierung und Synodalisierung mit am stärksten. Kein Wunder, dass sich aus alledem eine kurze, aber rege Diskussion entwickelte.

Wie die Freiheit im Luther’schen Sinn mit der Politik der Abschottung gegenüber Flüchtlingen vereinbar sei, lautete, um nur ein Beispiel zu nennen, eine Frage aus dem Publikum. „Die Angst, etwas zu verlieren, passt für mich nicht zur Freiheit“, antwortete Renate Weigel. Ähnlich auch die Haltung Georg Poells: „Man kann unterschiedlicher Meinung darüber sein, wie man diesen Menschen helfen sollte. Aber darüber, dass es unchristlich ist, sie im Mittelmeer verrecken zu lassen, kann es beim besten Willen keine Diskussion geben.“ Ulrike Bletzer

Zu den Fotos:
Dekanin Reante Weigel und Dr. Georg Poell diskuterten den von Martin Luther geprägten Begriff der Freiheit eines Christenmenschen aus evangelischer und katholischer Sicht. Fotos: Ulrike Bletzer/David Metzmacher