In Polen pflegt Jugend den Frieden auf Erden

Internationale Begegnungsstätte in Kreisau ist auch Ziel für junge Menschen aus Rhein-Lahn-Kreis

thumb_1krrundethumb_1logo_pl-d_06RHEIN-LAHN/KRZYZOWA. „… und Frieden auf Erden“ verheißen die Engel den Hirten mit der Geburt Jesu. Auch wenn das Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung in seinem Konfliktbarometer einen Rückgang gewaltsamer Konflikte verzeichnet: 2007 registrierten die Forscher weltweit noch immer 31 hoch gewaltsame Konflikte, bei denen tausende Kinder, Frauen und Männer ums Leben kamen. Insgesamt zählten die Forscher 328 Konflikte rund um den Globus, 130 davon waren gewaltsam. Dass der Friede von morgen bei der Jugend von heute beginnt, ist eine Binsenweisheit. Im polnischen Kreisau wird ganz praktisch daran gearbeitet, auch mit Jugendlichen aus dem Rhein-Lahn-Kreis.

thumb_1kressenthumb_1freundschaftkleinthumb_1krgrosrundeSich kennen lernen und entdecken, dass die Unterschiede zwischen polnischen und deutschen Jugendlichen eigentlich gar nicht so groß sind – das sind die Erfahrungen, die in diesem Jahr Konfirmanden aus dem evangelischen Dekanat Diez machten, als sie an einer Fahrt zur Internationalen Jugendbegegnungsstätte im polnischen Kreisau teilnahmen. Eine Woche verbrachten 35 Jungen und Mädchen aus Flacht, Holzheim und Niederneisen dort mit 16 Jugendlichen aus Warschau. Ihre Erfahrungen haben sie in einem Medienprojekt zusammengefasst. Die Beiträge des Presseteams – Umfragen, Kommentar, Berichte, Fotos – wurden unter anderem im Flachter Gemeindebrief veröffentlicht und Sie finden Sie in diesem Beitrag.

thumb_1krbauerngehoeftthumb_1krzyzowaschildDie polnischen Wegweiser und Straßenschilder muten fremd an, als der Bus mit den Konfirmanden die Neiße bei Görlitz gequert hat und Richtung Schweidnitz über immer holprigere Straßen gen Süd-Osten ans Ziel steuert. thumb_1dominikaborskaSchließlich führt das letzte Stück Asphalt und Kopfsteinpflaster an ärmlichsten Bauten und Hütten vorbei. Die Fremde ist schnell vergessen, als der Bus auf die Anlage der Jugendbegegnungsstätte einbiegt. Eine Woche später sind auch die mulmigen Gefühle mangels polnischer Sprachkenntnisse nur noch Vergangenheit, allenfalls die polnische Alternative zu Reis und Nudeln „Kasza“, ein Hirsebrei, bleibt auch nach der Abreise bei den Jugendlichen noch gewöhnungsbedürftig.

thumb_1maximilianlinkeDer Empfang der 50-köpfigen Gruppe aus dem Dekanat Diez und einer evangelischen Gemeinde in Warschau beginnt mit einer Stadtrallye – Kennen lernen der Umgebung, der Begegnungsstätte, Beschnuppern thumb_1stadtrallyekleinder Teilnehmer sind Ziele der Übung. „Die Fragen der Rallye sind so konzipiert, dass Deutsche und Polen miteinander kommunizieren müssen“, erklärt Dekanatsjugendreferent Friedhelm Hahn, der die Reise mit Pfarrer Hans-Joachim Fischer und einem Helfer-Team organisiert und vorbereitet hat.

 

 

thumb_1saskiahessMit Händen und Füßen verständigen sich die jungen Europäer thumb_1krsingeneintauf ihrer Erkundungstour in und rund um das Moltke-Gut und auf Englisch, so gut es eben geht. Zwei Tage später scheint sich die Ankunft der Jugendlichen von der Aar im nahe gelegenen Ort herumgesprochen zu haben. Nicht nur Gesang in beiden Sprachen sorgt für Verständnis. Auch beim Flirten ist Sprache keine Barriere, erst ein Machtwort der Betreuer aus Flacht bereitet dem kichernden Austausch am Abend ein Ende.

Während den Diezer Konfis Nachtruhe verordnet wird, zeigt sich im Lokal der Wirtschaft des historischen Guts im Erdgeschoss, wie wahre Völkerverständigung unter Jugendlichen aussieht: Deutsche, Engländer, Polen und Russen singen gemeinsam – jede Sprache ist mal an der Reihe, weihen sich gegenseitig lautstark und mit viel Freude in Feier-Rituale ein oder philosophieren in Schul-Englisch über Politik und Christentum. Das günstige Budweiser in Halb-Liter-Gläsern lockert die Stimmung, ohne sie zu torpedieren – am nächsten Tag steht bei den 16 bis 19-jährigen europäischen Gymnasiasten wieder historischer Anschauungsunterricht auf der Tagesordnung.

thumb_1monikasuchodolska„Wir haben hier sehr viele Konfirmandengruppen, aber die meisten jungen Leute sind zwischen 16 und 18 Jahren“, sagt Monika Suchodolska, pädagogische Leiterin der Jugendbegegnungsstätte, in der für Jugendliche und Betreuer 175 Betten zur Verfügung stehen. Ständig betreut wird die Gruppe aus Diez und Warschau von Christian Heinrichs. Der 20-jährige aus Mönchengladbach absolviert in Kreisau ein Freiwilliges Soziales Jahr. „Man lernt Polnisch, die Geschichte und Leute aus ganz Europa kennen – eine tolle Sache“, sagt Heinrichs.

thumb_1jaconthumb_1krinterview_rudiimhof„Viele junge Leute wissen über die jüngere deutsche Geschichte gar nichts, geschweige denn über die deutsch-polnische Beziehung“, weiß Rudi Imhoff vom Zentrum für Gesellschaftliche Verantwortung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) in Mainz. Er unterstützt das Projekt des Dekanats, um die erschreckenden Wissenslücken durch die Begegnung am historischen Ort schließen zu helfen. „Gerade, wenn die europäische Gemeinschaft mit Leben erfüllt werden soll, ist so eine Begegnung Gold wert“, ist er überzeugt und weiß von ähnlichen Begegnungen: „Es ergeben sich Kontakte, die auch über die eine Woche hinaus Bestand haben.“

thumb_1adam_pilchSo war das auch bei der Verbindung zwischen dem Jugendreferenten des Dekanates Diez, Friedhelm Hahn, und der Himmelfahrtsgemeinde in Warschau, die 600 lutherische Mitglieder zählt. 2003 gab es den ersten Kontakt zwischen Hahn und dem Pfarrer aus Warschau, Adam Pilch, der schon seit den 70er Jahren eine Partnerschaft mit einer Westberliner Kirchengemeinde pflegte. „Der Austausch mit den Jugendlichen begann dann mit dem Kontakt zu Friedhelm“, erzählt Pilch. Schon beim Jugendkirchentag in Wiesbaden war Pilch mit Konfirmanden zugegen.

thumb_1krwieseFür den Flachter Gemeindepfarrer Hans-Joachim Fischer ist die Reise eine lebendige und nachhaltige Form des Konfirmandenunterrichts. „Mit dem Auswendiglernen allein ist es nicht getan“, so Fischer. Aber wenn die Jugendlichen mit der Welt konfrontiert werden, wenn sie spüren, dass es nicht nur Flacht auf der Welt gibt, dann spüren sie die Beziehung zwischen Politik und christlichem Handeln.“ Kreisau sei dabei ein ideales Ziel, nicht ganz so weit wie Warschau. „Es ist noch im westlichen Einfluss, aber dennoch in Polen.“ Hahn und Fischer sind deshalb auch dankbar für die Unterstützung der Reise, insbesondere dem deutsch-polnischen Jugendwerk und dem Zentrum Bildung - Amt für Kinder- und Jugendarbeit der EKHN, die die Reise finanziell unterstützt hatten. (bcm)

Reise für Mitarbeiter in der Jugendarbeit

Die nächste Reise nach Kreisau ist bereits in Planung. Ehrenamtliche Mitarbeiter in der Jugendarbeit ab 16 Jahren können vom 30. April bis 4. Mai auf den Spuren deutsch-polnischer Geschichte teilnehmen. Die Reise wird von der Evangelischen Kirche bezuschusst, der Eigenanteil mit 50 Euro ist bewusst niedrig gehalten, um vielen Jugendlichen die Teilnahme zu ermöglichen.

Anmeldungen und Informationen bei Andreas Kleemann, Dekanatsjugendreferent Dekanat St. Goarshausen, Telefon 06772/961549 oder Friedhelm Hahn, Dekanatsjugendreferent Dekanat Diez, Telefon 06432/7822.

Rollenspiele und anrührende Lesungen

Briefe James von Moltkes aus dem Gefängnis bei Kerzenschein kennen gelernt

 

thumb_1krflussgutZehn Stunden waren die 35 Konfirmanden aus Flacht, Holzheim und Niederneisen zur Internationalen Jugendbegegnungsstätte im polnischen Kreisau unterwegs. Das weitläufige Gut war bis 1945 der Familiensitz der Adelsfamilie von Moltke. thumb_1krbusfahrerUthumb_1krbusfahrtnter anderem an diesem historischen Ort trafen sich die Mitglieder des Kreisauer Kreises um Helmuth James Graf von Moltke, der einen gewaltfreien Sturz des NS-Regimes und eine Zeit nach Hitler plante. Der überzeugte Christ wurde im Januar 1945 von den Nazis mit sieben weiteren Mitgliedern des Kreises hingerichtet.

thumb_1khauptgebaeudekNach dem Zweitem Weltkrieg verfiel die Anlage sehr. In dieser Zeit wurde das Gut als Bauernhof benutzt und die einzelnen Häuser tragen noch heute Namen wie Kuhstall, Speicher oder Pferdestall. Genau auf diesem Gut trafen sich am 12. November 1989 der polnische Ministerpräsident Tadeusz Mazowiecki und der deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl zur Versöhnungsmesse und beschlossen, das Gut grundlegend zu sanieren, um eine Internationale Jugendbegegnungsstätte zu eröffnen.

thumb_1lesungBei einer Lesung aus Briefen von Moltkes bei Kerzenschein wurde deutschen und polnischen Jugendlichen sehr eindrucksvoll thumb_1inahaeuservor Augen geführt, in welch verzweiflungsvoller Zeit der Widerstandkämpfer und seine Mitstreiter lebten. Bei einigen Konfirmanden lösten die Schilderungen von Moltkes sogar Tränen aus. Ein Tagesausflug nach Breslau eröffnete nicht nur die Sehenswürdigkeiten der von westlichem Standard geprägten Stadt. Dort gab es reichlich Zeit zum Shoppen, wovon viele Konfirmanden aufgrund der günstigen Preise reichlich Gebrauch machten.

thumb_1otpatrickthumb_1workshopvideokleinAuf die Thematik „Konflikte lösen“ wurde mit dem Film „Schwarzfahrer“ aufmerksam gemacht. Danach wurde in Kleingruppen über Konflikte aus der heutigen Zeit nachgedacht, wie thumb_1rollenspielkleinsich etwa aufgrund unterschiedlicher Musikgeschmäcker schnell ein Streit unter Jugendlichen entwickeln kann. Die Ergebnisse der Gruppen wurden in Rollenspielen vorgestellt.

thumb_1kreisauthumb_1friedenskirchkleinEin Ausflug führte die Konfirmanden schließlich nach Schweidnitz, wo die berühmte Friedenskirche aus Holz besucht wurde, bevor wieder Shoppen angesagt war. Dann ging es weiter zum Wolfsberg, den Adolf Hitler damals als Bunker zu seinem Schutz errichten ließ. Als Erinnerung an die Fahrt nach Kreisau wurden nicht nur Buttons und T-Shirts gedruckt und gebatikt. Hier und da wurden auch Telefonnummern und E-Mail-Adressen zwischen den polnischen und deutschen Jugendlichen ausgetauscht, bevor der Bus wieder die Heimreise an die Aar startete.

Ein Anfang für Völkerverständigung

Ein Kommentar von Mirko Griesel

Die Freizeit der Konfirmanden aus Holzheim, Flacht und Niederneisen in der Begegnungsstätte Kreisau war für alle Beteiligten sowohl von deutscher, als auch von polnischer Seite ein Erlebnis und eine Bereicherung. Die Jugendlichen lernten eine fremde Kultur und fremde Menschen kennen, sie besuchten eben ein anderes Land.

Ein Nachbarland. Ein Land, von dem wir wohl weniger wissen als von den USA, die tausende Kilometer entfernt liegen. Ein Land, in dem die Kinder schon in der Schule Deutsch lernen oder den Alten die Sprache noch aus der Zeit, als große Teile Polens zu Deutschland gehörten, geläufig ist; uns Deutschen kommen schon die einfachsten Wörter der polnischen Sprache fremd vor. Warum ist das so?

Die Gründe dafür sind vielfältig. Zum einen war Polen nach dem Zweiten Weltkrieg durch den Eisernen Vorhang von Westeuropa abgeschottet und der Nachkriegsgeneration sind immer noch die verschiedenen politischen und wirtschaftlichen Systeme gegenwärtig, was zu Berührungsängsten führen könnte. Außerdem wird die junge Generation durch Fremdsprachen und Austauschprogramme in der Schule immer noch westlich geprägt. Möglicherweise ist auch die Tourismusbranche noch nicht auf dem Stand, der Polen für mehr Deutsche als Reiseziel attraktiv werden lässt.

Unter diesen Gesichtspunkten war die Begegnung Jugendlicher beider Staaten eine gute Sache, jedoch für eine gelungene Völkerverständigung ist das erst der Anfang. Und solange in Deutschland das Vorurteil kursiert, die Polen würden klauen, haben diese Programme keine Früchte getragen; das gleiche erzählt man sich übrigens in Polen über Deutsche.

 

 

thumb_1teambesprechungDas Betreuer-Team (von links): Alexander Linke, Friedhelm Hahn, Hans Joachim Fischer, Rudi Imhoff, Rebecca Obre, Miriam Steinsberger und Ramona Weyl besprechen den Tagesablauf im Café der Begegnungsstätte. thumb_1auswertungrallyklein

 

 

 

Zum Presse-Team gehörten unter anderem Tobias Baum, Philipp Buchner, Mirko Griesel, Rudi Imhoff, Tobias Müller, Michelle Nothdurft und Kasimir Rantzqu. (Texte und Fotos)

thumb_1thesen4klein

thumb_1thesen3kleinthumb_1thesen1kleinthumb_1thesen2klein

 

 

 

 

Noch mehr Fotos:

 

thumb_1agauswertungklein

 

 

 thumb_1krabschlusspartykleinthumb_1gesangeintklein thumb_1krpartyklein

 

 

 

 

thumb_1stadtfuehrungklein