20 Jahre Mauerfall: Erinnerung an kleine verbindende Worte Drucken E-Mail

thumb_1mauerfall1982-cm-RHEIN-LAHN. (9. November 2009) Der Glaube kann manchmal Berge versetzen. Aber kann er auch eine Mauer zu Fall bringen? Vor 27 Jahren entstand das neben stehende Foto. Und keiner der drei jungen Männer hätte damals geahnt, dass nur sieben Jahre später ihr Wunsch Wirklichkeit werden würde. 20 Jahre nach dem Mauerfall bieten einmal mehr Gelegenheit, auf Wünsche zurückzuschauen, auf kleine wie große, die in Erfüllung gegangen sind; auf Gebete wie die bei den Montagsdemonstrationen in der DDR und lange zuvor, die Gehör fanden.

Viel zu oft kommt der dankbare Blick zurück zu kurz. „Unfassbar!“ Das war das thumb_1berlin-gedenksttte-cm-einzige Wort, das der Amerikaner neben uns herausbrachte, als wir stumm auf das vermauerte Brandenburger Tor starrten. Im Sommer 1982 bestimmten Bäume, grüne Wildnis, Fassungslosigkeit und Wut den Spaziergang zwischen Potsdamer Straße und Brandenburger Tor. (Heute befindet sich dort übrigens eine Gedenkstätte für die jüdischen Opfer nationalistischer Gewaltherrschaft, die an einem anderen 9. November ihren verheerenden Lauf nahm.) „Ich bin ein Berliner“ hatte ein anderer, berühmterer Amerikaner 19 Jahre vorher gesagt und damit erst unseren Spaziergang auf der Bellevuestraße zum Kemper Platz und dem Aussichtspunkt vor dem Tor ermöglicht. Große Worte, die die Welt verändern.

Am heutigen Tag kommen mir jedoch viele kleine Worte in den Sinn, die die deutsch-deutsche Welt und Wirklichkeit in vielleicht nicht unwichtigerem Maße wohl auch verändert haben. Die Bitte um die Einheit der Deutschen, mit der über zwei Jahrzehnte jeder Sonntagsgottesdienst in Miehlen endete, nachdem die Gemeinde schon 1961 mit einer Partnerschaft zum thüringischen Goldlauter eine Verbindung zwischen Ost und West geschaffen hatte. Ich muss an die Diskussion mit einem gleichaltrigen NVA-Soldaten in einem Restaurant am Ostberliner Alexanderplatz denken, seine mitleidige Überzeugung „bei Euch ist wohl nicht alles Gold was da so schön glänzt. Aber Ihr könnt ja nichts dafür, auf der anderen Mauerseite zur Welt gekommen zu sein“. Und ganz sicher haben auch diese vier Worte einer Ostberlinerin ein Stück zur Einheit beigetragen. „Sehen wir uns wieder?“, fragte sie mich vor 25 Jahren.

Aber auch daran denke ich heute zurück: Demütigende Entkleidungen im „Tränenpalast“ am Grenzübergang Friedrichstraße, an riesige uniformierte Gestalten, überdies Meister im Zerlegen von Fahrzeugen, die aus dem Westen über die Transit-Autobahn nach Berlin einreisten, und immer wieder an meine ein ums andere Mal geballte Faust in der Tasche an diesen innerdeutschen und Berliner Grenzübergängen. Sie waren eigentlich ein harmloser Preis für die Bekanntschaftspflege zwischen Ost und West, wenn man an die Menschen denkt, die der Schießbefehl an der Mauer das Leben kostete oder an die, denen es verwehrt war, ihre Familienangehörigen zu sehen oder ihren Beruf auszuüben.

Über Grenzen hinweg Beziehungen zu pflegen, Helfen, wo Hilfe möglich ist, an eine bessere Zukunft zu glauben, auch wenn Veränderung aussichtslos scheint – das lehrt mich der Fall der Mauer vor 20 Jahren. Es ist gut, immer wieder nach vorn zu schauen, Zukunft zu gestalten, statt sich von der Vergangenheit gefangen nehmen zu lassen. Aber manchmal wird der Blick zurück auch zur Pause der Dankbarkeit, mit der sich motivierter und zuversichtlicher das Morgen betrachten und gestalten lässt.

Eine Mauer ist gewichen, andere wurden errichtet und trennen Menschen und Völker. Gut, wenn am heutigen Tag wieder für den Fall unterschiedlichster Mauern gebetet wird; sei es für das geteilte Korea oder die Verständigung zwischen den Religionen, zwischen Christen, Juden und Muslimen wie in der Nassauer Johanneskirche und anderswo. Gut, wenn Worte in Verbindung halten, was Waffen entzweit. Bernd-Christoph Matern