725 Jahre leben in evangelischer Stiftskirche Diez erfrischend auf Drucken E-Mail

thumb_1a-725sk-godikostuem_becrima-thumb_1a-725sk-godialle_becrima-DIEZ/RHEIN-LAHN. (9. Juli 2014) Gottesdienstbesucherinnen mit Spitzenhäubchen, sprechende Kanzel und Taufstein, eine Druckpresse aus Gutenbergs Zeiten, die den 23. Psalm für den Nachhauseweg mitgibt – auch die wenigen Touristen, die am Sonntag die evangelische Stiftskirche besuchten, merkten schnell, dass in und vor dem Gotteshaus ein ganz besonderes Fest gefeiert wurde. Die Kirchengemeinde erinnerte mit ihm an den 725. Geburtstag der Stiftskirche.

"Die Amalie, die Grabplatten und ich - was haben wir uns nicht schon alles anhören müssen“, ließ Gemeindepfarrer Gerd-Michael Scheuch die hölzerne Kanzel zu Wort kommen und erläuterte, dass thumb_1a-sk14kanzelganz_becrima-der Predigtort nicht etwa den Pfarrer „erhöhen“ soll. Bis 1779 befand sich die Kanzel noch auf der anderen Seite der Kirche; in Zeiten der Reformation stieg ihre Bedeutung, weil die Predigt in den Mittelpunkt rückte. Scheuch machte deutlich, dass bei allem theologischen Wandel, der in Predigten in den Jahrhunderten zum Ausdruck gekommen sein mag sowie bei manchem Versuch, die Gemeinde „abzukanzeln“, ihre Erfindung und Funktion rein akustische Gründe hat.

thumb_1a-sk14taufstein_becrima-Dem Taufstein, der 200 Jahre älter als die Kirche sein dürfte, verlieh Vikarin Petra Dobrzinski Stimme, als sie feststellte, dass mit der Taufe Neues beginnt. „Ich stehe fest, aber ihr könnt hinausgehen und die Worte in der Welt leben“. Und schließlich erinnerte Pfarrer Ingo Lüderitz an die zweifache Bedeutung des Altars als ein „Tisch des Herrn“, der alle Menschen zum Abendmahl einlade und als Standort der Bibel, dem Wort Gottes und damit dem wahren Fundament für Kanzel, Taufstein, Altar und die ganze Kirche.

thumb_1a-725sk-kaemmerchenc_becrima-Der Festgottesdienst, den auch Pfarrerin Kerstin Lüderitz von der Jakobusgemeinde Diez-Freiendiez mitgestaltete, wurde musikalisch höchst anspruchsvoll vom Kämmerchenchor unter Leitung von Andreas Frese begleitet, der Werke von Duruflé, Johann Michael Bach, da Palestrina und den passenden Satz „Wie lieblich sind Deine Wohnungen“ von Rheinberger vortrug.

thumb_1a-725sk-dobraluederitz_becrima-thumb_1a-725sk-ballwurf_becrima-thumb_1a-725sk-kokos_becrima-Vor dem Jubiläums-Gotteshaus herrschte den ganzen Mittag über fröhliche Betriebsamkeit, die auch der frisch gebackene Landrat Frank Puchtler, Landtagsabgeordneter Matthias Lammert (CDU) und der neue Diezer Stadtchef Frank Dobra genossen. Dekanatsjugendreferent Torsten Knüppel hatte zur Freude der kleinen Festgäste sein Spielmobil ausgeladen, und die drei thumb_1a-725sk-kuchen_becrima-evangelischen Kindertagesstätten der Stiftskirchengemeinde „Am Schlossberg“, „Pusteblume“ und „Kinderhafen“ warteten mit sehr unterhaltsamen Wissens-, Geschicklichkeits- und Bastelspielen auf. Groß und Klein labten sich an dem von fleißigen Frauen thumb_1a-725sk-baenke_becrima-kredenzten Kuchen oder versuchten den leckeren fürs Gemeindefest gefertigten Löwenzahn-Honig.

„Durch die Zeit“ – so das Motto des Gemeindefestes – führte auch der thumb_1a-725sk-kostueme_becrima-thumb_1a-725sk-fotosholzhaeuser_becrima-Umgang mit Wolle beim Filzen oder am Spinnrad, das Karin Heuser in der Kirche gekonnt antrieb. Während die Amtsapotheke Wuth alte Alchimisten- und „Pillendreher“-Künste aufleben ließ, sorgte Fotograf Bernd Holzhäuser für unikate Erinnerungen, in dem er die Besucher in thumb_1a-725sk-gutenbergkids_becrima-historischen Kostümen vor dem Amalien-Sarkophag ablichtete. Marcus Klawikowski bediente dort Gutenbergs Druckpresse, um den 23. Psalm darauf zu verewigen und erinnerte daran, dass thumb_1a-725sk-alchimist_becrima-sich die Reformation ohne diese Technik wohl kaum so schnell verbreitet hätte. Wissenswertes über die 725-jährige Stiftskirche bieten Schautafeln auf der Empore der Kirche.

Musikalisch ging es am Nachmittag zu, als der Kinderchor der Jakobusgemeinde unter Leitung von Kantor Martin Samrock unter anderem den „Guten Hirten“ besang, bevor Jonas van Baaijen die ganze thumb_1a-725sk-spinnenhoch_becrima-Gemeinde zum offenen Singen einlud. Deftig mit einem Spanferkel und frischem Schaufert's-Bier endete die ebenso erfrischend abwechslungsreiche Zeitreise in und rund um die 725 Jahre alte Stiftskirche.

thumb_1a-725sk-geschichte_becrima-Mit dem Gemeindefest wurde gleichzeitig das Gedenken an die vor 450 Jahren in Diez eingeleitete Reformation begonnen, die bis zum Monatsende jeden Dienstag an verschiedenen Orten der Stadt sehr interessante Vorträge bietet. Hier eine Übersicht über die Vortragsreihe „450 Jahre Diezer Vertrag“ und deren Referenten:

Das evangelische Pfarrhaus“ mit Dekan Christian Dolke am Dienstag, 15. Juli, 20 Uhr im Gemeindesaal der Jakobusgemeinde in Diez-Freiendiez;
Die katholische Kirche 2014 ff“ mit Pfarrer Uwe Michler am Dienstag, 22. Juli, 20 Uhr im Gemeindesaal der Herz-Jesu-Gemeinde.
Mit der Stadt Diez und dem Lions Club Diez werden am Sonntag, 27. Juli um 11 Uhr am Friso-Brunnen Erinnerungsbäume übergeben und bis 14 Uhr gibt es dort einen Sonderstempel der Deutschen Post. Eine ökumenische Andacht in der Diezer Stiftskirche beschließt um 14 Uhr die Reihe. Bernd-Christoph Matern 

725 Jahre mit der Stiftskirche durch die Zeit

thumb_1a-sk14aufgang_becrima-thumb_1a-sk14aussenhoch_becrima-DIEZ. (9. Juli 2014) „Wir wollten mit diesem Fest die Geschichte der Stiftskirche lebendig werden lassen und mit verschiedenen Aktionen ein buntes Bild von unserer Gemeinde zeichnen“, sagt Dieter Wedlich, Kirchenvorstandsvorsitzender der evangelischen Stiftskirchengemeinde. Dass das Gotteshaus unterhalb des Grafenschlosses, in dem sich das Glockenwerk der Kirche befindet, ein Besuchermagnet ist, obwohl sie ungewöhnlich unauffällig in der Diezer Altstadt liegt, das beweisen die vielen Einträge im Gästebuch der Kirche im linken Seitenschiff.

Zu Ehren der Jungfrau Maria wurde das Gotteshaus im Jahr 1289 als Stiftskirche St. Maria erbaut. Graf Gerhard IV. und seine Frau Elisabeth errichteten das dreischiffige frühgotische Bauwerk als Vorsorge für ihr jenseitiges Seelenheil, wie die Annalen ausweisen. So plump der äußere Eindruck, so einladend zeigt sich doch das Innere der Hallenkirche mit seinen schönen Spitzbogenfenstern und Deckengewölben.

"Als Gemeindemitglied, das die Kirche mehr oder weniger regelmäßig besucht, nimmt man den schönen Innenraum oft gar nicthumb_1a-sk14kar-fensterfuchs_becrima-ht mehr so wahr, man hat sich thumb_1a-sk14gewoelbemalerei_becrima-halt daran gewöhnt“, sagt Klaus Hofferberth, Mitglied im Bauausschuss der Kirchengemeinde. Umso mehr freute es ihn, für das Kirchenjubiläum viel Wissenswertes über die Stiftskirche zusammenzutragen. und auch an die vielfachen baulichen Veränderungen zu erinnern. So sei etwa der Dachstuhl mit seinen Quergiebeln mehrfach umgebaut worden, die schmalen Emporen ausgebaut, Kreuzgewölbe und Spitzbogenfenster dazu hergestellt worden.

"Auch der Innenanstrich und die Ausmalungen haben sich in all den Jahren mehrmals verändert“, weiß Hofferberth, „vom schicken Weiß ohne farbige Akzente aus der calvinistisch geprägten Zeit um 1581 bis zur stark farbig ausgemalten Fassung zum Ende des 19. Jahrhunderts.“ 21 Farbfassungen seit der Erbauung wurden während der großen Renovierung im Jahr 1964 durch Funduntersuchungen ausgemacht, berichtet Hofferberth. Im Rahmen der jüngsten Renovierung 1988/1989 seien die Wände und Decken dann nach den Befunden der achten Farbfassung aus der Zeit um 1540, der Zeit von Renaissance, Humanismus und Reformation neu ausgemalt worden.

thumb_1a-sk14gruftaltarraum_becrima-thumb_1a-sk14sarkophagdetail_becrima-Viele teils reich verzierte Grabplatten von Diezer und Nassauer Adligen in den Kirchenwänden erinnern daran, dass die Stiftskirche bis 1776 auch Begräbnisort der Stadt war. Die höchste Aufmerksamkeit vor allem unter den Touristen genießt natürlich der barocke Prunksarkophag der Fürstin Amalie von Nassau-Diez aus schwarzem Lahnmarmor mit seinem reichen Alabasterdekor. Mit ihren unverheirateten Töchtern, die in der Fürstengruft der Stiftskirche begraben sind, lebte Amalie viele Jahrzehnte auf Schloss Oranienstein. 2010 wurden Sarkophag und Fürstengruft fachmännisch restauriert.

Heute können interessierte Besucher der Kirche bei einer Führung durch eine Glasplatte im Mittelgang der Kirche einen Blick auf die restaurierten Zinksärge der beleuchteten und temperaturkontrollierten Fürstengruft werfen. Eine von der niederländischen Stiftung „Je maintiendrai Nassau“ geschenkte Bronzeplatte bedeckt das Bodenfenster.

Neben dieser großen Geschichte von Fürsten und Prinzessinnen zeigt sich Gemeindepfarrer Ingo Lüderitz fasziniert von einer anderen Art „Geschichte, die die alten Mauern atmen“, die Geschichten der Menschen in Diez, die seit 725 Jahren in die Stiftskirche und ihre von außen kaum veränderten Mauern kommen. „Wie viele Tränen wurden in dieser Kirche schon vergossen, wie viel Leid aber auch Freud wurde hier miteinander geteilt?", fragt der Theologe zum Jubiläum. Dazu gebe die Stiftskirche einen Raum, auch heute in einer Zeit, in der vieles immer mehr nach Kosten und Nutzen eingeteilt werde. Lüderitz: „Dafür sind Kirchen gebaut worden: die Tiefe des eigenen Lebens zu spüren und mit Gottes Nähe in Verbindung zu kommen.“ Bernd-Christoph Matern

Zu den Fotos:
Unabhängig vom Alter des Gebäudes: die von Rudolf Fuchs geschaffenen Fenster in der Stiftskirche weisen auf den Grund des Gotteshauses hin, das Evangelium wie etwa die Leidensgeschichte Jesu (rechts). Im Mittelgang befindet sich seit 2011 eine Glasplatte, die bei Führungen einen Blick in die Fürstengruft ermöglicht. Fotos: Bernd-Christoph Matern