BORNICH/RHEIN-LAHN. (1. Dezember 2016) „Gut alt werden im ländlichen Raum“ hatten das Familienzentrum Bornich und die Initiative 55 plus-minus im Dekanat Nassauer Land zusammen mit anderen Veranstaltern ein Symposium überschrieben, das mit hochkarätigen Referenten einen ganzen Tag die Zukunft von lebenswerten Dörfern im Rhein-Lahn-Kreis in den Focus rückte. Politische Rahmenbedingungen und konkrete Maßnahmen wurden dabei unter anderem erörtert.
Wie gelingt es, in vertrautem Umfeld lange leben zu können, was können Politik und Kirche dafür tun und welche Weichen müssen dafür in den nächsten fünf Jahren gestellt werden? Das waren Fragen, die Referentinnen und Referenten erläuterten und über die in Workshops nachgedacht wurde.
Der Propst für Süd-Nassau Oliver Albrecht warnte davor, den ländlichen Raum zum Altenheim der Nation werden zu lassen. „Wir müssen alte Menschen als Subjekt ansehen und nicht als ein Objekt der Betreuung“, so der Theologe in einer Podiumsdiskussion. „Ohne das Schönreden zu wollen, aber welches Potenzial liegt darin! Was vergeben wr uns und unserer Gesellschaft, wenn wir den Schatz, der da im Alter an Erfahrung, an Weisheit und schon früher in Wohnzusammenhängen an Hilfe steckt, zu sehen und zu fördern.“ Mit Blick auf das Engagement in Bornich sagte der Propst: „Sie haben hier Stärken, von denen wir in den Vorstädten nur träumen können“.
Landrat Frank Puchtler rief dazu auf, die Stärken des ländlichen Raums in den Blick zu nehmen und sie selbstbewusst zu vertreten. Dazu sei es notwendig, Kooperationen einzugehen; nicht 136 verschiedene Stimmen, sondern eine Stimme aus 136 Ortsgemeinden und die des Kreises könnten mehr erreichen. Gleichzeitig wünsche er sich von der Bundespolitik nicht nur Lippenbekenntnisse zum ländlichen Raum, sondern auch eine substantielle Änderung des Grundgesetzes, wenn schon 90 Prozent der Fläche ländlich und mehr als 70 Prozent der Bevölkerung in Räumen wie dem Rhein-Lahn-Kreis lebten. Wenn die Gemeinschaftsaufgabe der Daseinsvorsorge im Grundgesetz definiert sei, lasse sich daraus auch eine finanzielle Beteiligung des Bundes ableiten. Am Ende gehe es darum, auf dem Land gut zu leben, um dort auch gut alt werden zu können, wollte Puchtler das Symposiums-Motto erweitert sehen.
Für ein stärkeres Miteinander der Generationen sprach sich Dagmar Jung von der Diakonie Hessen aus. Die Referentin für angewandte Gerontologie hatte ihren Impulsvortrag unter die Überschrift gestellt „Ins Pflegeheim will keiner – Ideen der Diakonie“. Das Fördersystem müsse auf den Prüfstand, um ganzheitliche und den Bedürfnissen angepasste Hilfen zu ermöglichen, sagte Jung unter anderem; die Anforderungen auf dem Land sähen meist anders aus als in einer Stadt. „Für Pflegesituationen im Alter finden wir eine Vielfalt an Leistungen, aber keine dahinter liegende planbare Struktur“, so Jung.
Mehr Informationen über den Arbeitsbereich „Alter und Gemeinwesen“ der Diakonie Hesse, die auch für Rheinland-Pfalz zuständig ist, finden sie hier .
Wo gibt es engagierte Menschen, welche Strukturen gibt es vor Ort, wie können Angebote und Ressourcen sinnvoll vernetzt werden? Das seien Fragen, die das Demografieministerium bei seiner Sozialraum-Entwicklung im Auge habe, sagte Dr. Christiane Liesenfeld, Leiterin des Referats Demografischer Wandel, Gut leben im Alter beim Sozialministerium Rheinland-Pfalz. Sie stellte eine Reihe von Maßnahmen und Rahmenbedingungen der Landesregierung vor. Auch das Modellprojekt der Gemeindeschwester-plus , die Menschen vor Ort aufsucht, könne ein sinnvolles Angebot für Bornich werden. Im Vergleich zur früheren Gemeindeschwester soll sie nicht zur Pflege eingesetzt werden, sondern zur Beratung, um konkrete Hilfen zu besprechen.
Mehr Informationen zu den Demografie-Strategien der Landesregierung finden Sie hier .
Gute Noten für das Engagement in Bornich stellte Prof. Dr. Hermann Brandenburg der Bornicher Initiative aus. Der Dekan an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar hatte mit einer Gruppe Studenten bereits Anfang des Jahres nach Interviews und einer Zukunftskonferenz ein Gutachten erarbeitet, das auch während des Symposiums vorgestellt wurde. Die Ergebnisse empfehlen unter anderem die Gründung einer Genossenschaft oder eines Bürgerschaftsvereins, um unabhängig vom Engagement einzelner Personen wie dem von Dieter Zorbach zukunftsfähig aufgestellt zu sein. Eine Mobilitätsverbesserung durch einen Bürgerbus gehört ebenfalls dazu. „Die Dinge sind gestaltbar, Potenziale alter Menschen vorhanden“, sagte Brandenburg und mahnte gleichzeitig, die Realisierbarkeit von Maßnahmen nüchtern zu betrachten. Auch er propagierte ein Generationen übergreifendes Handeln. Außerdem warnte er davor, „dass wir die Ressource Ehrenamt verbraten“. Die Politik müsse es mit hauptamtlichen Strukturen unterstützen.
Das Kurzgutachten der Hochschule Vallendar „Perspektiven für ein gutes Altern in Bornich“ finden Sie hier .
Dieter Zorbach selbst nannte als eine ganz konkrete Forderung an die Vertreterinnen und Vertreter der Politik die Verwirklichung eines festen Raumes und Treffpunktes. Die Handwerks- und Lesepaten seien engagiert in Kindergärten. „Aber warum haben wir nur einen Kindergarten, wenn es stimmt, dass die Älteren immer mehr werden? Wir brauchen für unsere Senioren einen verlässlichen Anlaufpunkt“, forderte Zorbach.
In drei Arbeitsgruppen hatten die Teilnehmenden des Symposiums nach Vorträgen und Diskussion selbst über folgende Themen diskutiert: „Ich will hier bleiben bis zum letzten Schnaufer – Was braucht es dafür?“, „Welche Erwartungen gibt es an Politik und Kirche, um im ländlichen Raum gut alt werden zu können?“ und „Wie muss sich das Dorf entwickeln, damit ich Zukunft habe?“. In der von Dr. Steffen Bauer, Leiter der Ehrenamtsakademie der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, moderierten Diskussionen wurden auch Wünsche geäußert, was in fünf Jahren von den angesprochenen Maßnahmen umgesetzt sein soll.
Eine Ausstellung des Familienzentrums und der Initiative für Bornich zeigte den ganzen Tag über, was es in Bornich bereits gibt, um den Wunsch vom guten Leben und Altern in Bornich in die Tat umzusetzen. Die Ehrenamtsakademie und das Zentrum Bildung der Landeskirche sowie die Diakonie Hessen hatten das Symposium mit veranstaltet und finanziell unterstützt. In einer Dokumentation sollen die Ergebnisse der Tagung festgehalten werden, die von vielen engagierten Helferinnen und Helfern der Initiative und der Gemeinde Bornich vorbereitet und auf die Beine gestellt wurde. Bernd-Christoph Matern
Zu den Fotos:
Mit Impulsvorträgen, Diskussionen und in Arbeitsgruppen wurde beim Symposium in Bornich über Strategien und Maßnahmen nachgedacht, die es ermöglichen, im ländlichen Raum gut alt zu werden. Fotos: Bernd-Christoph Matern
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