Christen im Bundestag streiten, aber hassen sich nicht Drucken E-Mail

thumb_1a-125fwschmidtwinkler_becrima-BAD EMS/RHEIN-LAHN. (30. Mai 2014) „Zeit online“ kürte ihn im vergangenen Jahr zu einem der fleißigsten Abgeordneten des Deutschen Bundestages. Diesem gehört Josef Winkler nach elfjähriger Amtszeit zwar nicht mehr an. Aber der 40-jährige Politiker aus Bad Ems und ehemalige kirchenpolitische Sprecher und stellvertretende Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen ist nach wie vor Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken, in der Diözesanversammlung des Bistums Limburg und wurde gerade wieder in den heimischen Kreistag des Rhein-Lahn-Kreises gewählt. „Wer also wäre besser geeignet, über das Thema Politik und Kirche zu referieren“, empfing Stiftungsvorsteher Wilhelm Schmidt den Politiker zu einem Vortrag im Rahmen der 125-Jahr-Feier des Diakoniewerks Friedenswarte.

"Auch im politischen Leben haben wir es oft mit Reformation zu tun“, sagte Winkler, wenngleich er um Verständnis bat, dass ihm als Katholik das allgemein gefasstere Thema „Christsein und Politik“ eher am Herzen liege. „Und sind wir realistisch: Die Spaltung wird sich nicht umkehren lassen; eher geht es um die Verbesserung des Miteinanders.“ Das Evangelium als konkrete Handlungsanweisung zu interpretieren, sei im Bundestag schlecht möglich, auch wenn Religion und Politik in alle Realitäten des Lebens hineinspielen. „Da fordert der bekennende Katholik Josef Winkler mehr Geld für die Flüchtlingspolitik am Rednerpult und dann spricht der ebenso bekennende Katholik Wolfgang Bosbach mit anderen Argumenten dagegen“.

thumb_1a-125fwwinklequer_becrima-In anderen Fragen zogen die beiden Christen wiederum an einem Strang, wobei das nicht immer auf den gemeinsamen Glauben zurückzuführen gewesen sei. Interessant dabei seine Beobachtung in zehn Jahren Bundestag, was die Verwendung klerikaler Begriffe anbelangt, wenn es etwa um die Durchsetzung von Gesetzesvorhaben geht. Eine Studie der Universität Münster über das Argumenten-Ranking habe seine Vermutung bestätigt, dass es im Bundestag wenig Sinn hat, verbal die Bibel heranzuziehen. „Mit dem Argument ,das verletzt unseren Glauben' erhalten sie weniger Zustimmung als mit der Feststellung ,das verletzt die Menschrechte', obwohl Glaubensfreiheit ja ein Menschenrecht ist.“ Und wenn Jesus mit seiner Forderung „Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst“ nichts anderes als ein soziales und friedliches Verhalten gegenüber den Nachbarn verlangt habe, so finde letztere Formulierung eindeutig den größeren Beifall.

Über Parteien und Fraktionen hinweg seien für ihn und andere Abgeordnete im Bundestag allerdings die regelmäßigen Andachten in den Sitzungswochen ein echter Kraftquell und Ruhepol gewesen. „Da kann man die politische Hektik mal vergessen“, erzählt Winkler. Und wenn man nach einem ökumenischen Gebetsfrühstückskreis – einer amerikanischen Erfindung – am Ende gemeinsam das „Vater Unser“ bete, „dann holt man im Plenarsaal auch nicht gleich wieder den Dreschflegel raus“. Bei allem politischen Streit und manch harter Auseinandersetzung gebe es unter Christen, gleich welcher Partei sie angehören, auch deutlich weniger persönliche Anfeindungen.

thumb_1a-125fwwinkleralves_becrima-Wichtig für die politische Arbeit in Bundestag und Bundesrat hält er auch die Botschaften der evangelischen und der katholischen Kirche in Berlin, die die Positionen der Kirche ins Parlament einbringen, in dem eine sehr große Zahl von Personen, seien es Abgeordnete oder deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Religion, Glaube und Kirche nicht viel anfangen könnten. Ihn persönlich habe es im diversifizierten und säkularen Berlin immer sehr viel Freude gemacht, wenn er etwa in der Advents- und Weihnachtszeit Menschen zum Adventslieder-Singen im Paul-Löbe-Haus begrüßte, um ihnen auf ganz einfache Weise den Grund von Weihnachten erklären zu dürfen. Winkler sprach eine Reihe politischer Themen an, in denen auch christliche Standpunkte gefragt seien, etwa in der Außenpolitik die Verfolgung von Christen oder bei ethischen Fragen im Gesundheitswesen.

Auch wenn sich das Evangelium nicht parteipolitisch interpretieren lasse, halte er es mit Dorothee Sölle, die zur tätigen Nachfolge aufgerufen habe mit ihrer Feststellung: „Da kann man nichts machen, ist ein gottloser Satz.“ Bernd-Christoph Matern

Zum Foto:
Josef Winkler (Bündnis 90/Die Grünen) referierte im Bad Emser Diakoniewerk Friedenswarte zum Thema „Christsein und Politik“. Die Evangelische Kirche in Deutschland, die 2017 an Luthers Thesenanschlag vor 500 Jahren erinnert, hat das Jahr 2014 unter das Motto Reformation und Politik gestellt. Fotos: Bernd-Christoph Matern