Dekanin Renate Weigel: In Vakanzen Mut und Zusammenhalt beweisen Drucken E-Mail

thumb_1a-rweigel0517portraitn_becrima-BAD EMS/RHEIN-LAHN. (8. Juni 2017) Im Mai vor einem Jahr wurde Pfarrerin Renate Weigel als Dekanin des aus ehemals drei Dekanaten hervorgegangenen neuen Dekanats Nassauer Land eingeführt. Im Interview mit rhein-lahn-evangelisch spricht sie über die Konsequenzen des weitgehend demografisch bedingten Mitgliederschwundes für die derzeit 56 Kirchengemeinden im Dekanat und deren 56.000 Mitglieder, den bevorstehenden Pfarrermangel und Unterschiede zur katholischen Situation.

 

 

Hier das Interview im Wortlaut:

Frau Weigel, Sie haben der Synode in ihrer Frühjahrstagung berichtet, dass derzeit neun Pfarrpersonen im Dekanat fehlen. Ist das viel oder wenig?

9 von 52 – das ist viel!

Wie wirkt sich das auf die betroffenen Gemeinden aus?

Nicht nur Gemeinden, auch Kliniken und Altenheime sind betroffen. Es fehlt überall die Ansprechperson, die ganz selbstverständlich da ist, die sich auskennt und die man kennt. An wen können sich denn die Menschen dort wenden, wenn sie einen Trauerfall haben, wenn sie heiraten oder ein Kind taufen möchten? Wir versuchen für jede Vakanz eine möglichst gute Regelung zu finden. Kirchenvorstand und Gemeindebüro vor Ort suchen in der Regel die Vertretungen für die Gottesdienste. Das Dekanatsbüro besetzt die Zuständigkeiten für Taufen, Trauungen und Beerdigungen, den Konfirmandenunterricht und den Schulunterricht. Viele helfen also mit, dass die Gemeinde ohne Pfarrperson nicht verlassen da steht. Das macht die Sache für Anfragende, Ratsuchende, Bestattungsinstitute und andere natürlich nicht gerade einfacher.

Der erste Weg für eine Anfrage aus der Gemeinde ist auch in der Vakanzzeit das Gemeindebüro. Der Anrufbeantworter – das Büro ist vielleicht nur stundenweise in der Woche besetzt – sollte Auskunft geben, an wen ich mich wenden kann. Bekomme ich hier keine Klarheit, versuche ich es mit der oder dem Vorsitzenden des Kirchenvorstands. Oder ich rufe gleich im Dekanat an. Wenn am Wochenende eine Klärung dringend wird, können die Dekanin oder der stellvertretende Dekan über das Diensthandy zeitnah erreicht werden.

Welche Rolle kommt den Kirchenvorständen in dieser Situation zu, wie werden sie in ihrem ehrenamtlichen Engagement motiviert und unterstützt?

Kirchenvorstände sind die Gemeindeleitung vor Ort. In der pfarrerlosen Zeit übernehmen sie viel Verantwortung. Sie sind neben der Gemeindesekretärin Ansprechpartner in den Gemeinden. Wenn etwas schief läuft, landen Ärger und Frust oft bei ihnen. Ich als Dekanin und die Mitarbeiterinnen im Dekanatsbüro halten einen engen Kontakt zu den Vorsitzenden der Kirchenvorstände. Wir organisieren mit; wir ermutigen, in der Ausnahmesituation das Angebotspensum der Gemeinde zu verkleinern. Wir stehen zusammen, wenn Fehler passieren, und sagen: Das tut uns leid, aber es kommt vor. Ohne Geduld miteinander geht es nicht, sowieso nicht und in belastenden Zeiten erst recht nicht.

Im Jahr 2009 gab es in der Region noch 63 Kirchengemeinden; zurzeit sind es 56. Geht die Entwicklung so weiter, schrumpft das Dekanat in einer Generation zur Kirchengemeinde. Welche Größenordnung an Dörfern ist einer Pfarrerin oder einem Pfarrer zuzumuten und wie bleibt die Verbindung der Mitglieder zu den Seelsorgern erhalten?

Die Lage in der evangelischen Kirche stellt sich anders dar als in der katholischen Kirche. Wir müssen in den nächsten 10 Jahren einen Berg von Pensionierungen bewältigen. Außerdem verlieren wir kontinuierlich Mitglieder, weniger durch Austritte als durch das Wegsterben der Altgewordenen. Ich sehe nicht, dass wir gegen Null schrumpfen oder uns ohne Ende zusammenfusionieren müssen. Wir werden uns längerfristig, so die Prognose, bei Pfarrstellengrößen von etwa 1600, 1700 Gemeindegliedern stabilisieren können. Mit einer guten Arbeitsstruktur ist das für eine Pfarrperson zu bewältigen und die Gemeindemitglieder können ihre Pfarrperson noch kennen, ihr begegnen und wissen, wer für sie zuständig ist.

In der EKHN gibt es derzeit rund 1600 Pfarrpersonen, von denen in den kommenden zehn Jahren etwa 1100 pensioniert werden. Was bedeutet diese Pensionierungswelle fürs Dekanat Nassauer Land?

Mit der Pensionierungswelle sehe ich in der Tat Krisenjahre auf uns zukommen. Durch Stellenreduktionen auf die oben genannte Größe versucht die Kirche sich darauf einzustellen. Aber es wird eine Zeit lang vermehrt unbesetzte Pfarrstellen geben, im ländlichen Bereich stärker als in den Städten. Gemeinden werden sich Pfarrerinnen und Pfarrer teilen müssen. Prädikantinnen und Prädikanten, Lektorinnen und Lektoren, die Laien, die Gottesdienst halten, werden verstärkt zum Einsatz kommen. Ehrenamtliches Engagement wird noch kostbarer werden.

Was können Gemeinden tun, damit sich junge Theologinnen und Theologen für den Pfarrdienst in unserem ländlich geprägten Dekanat begeistern lassen?

Ich glaube, es ist wichtig, dass wir alle zusammen nicht den Mut verlieren. Nichts ist ja weniger anziehend, als eine mutlose Gemeinde. Jesus hat ohne Geld und mit begrenztem Personal auf den Straßen gesprochen und Menschen erreicht. Das Evangelium will und kann gelebt werden, auch wenn wir unter Versorgungsmängeln leiden. Tun wir das, was wir tun können. Freuen wir uns über die Menschen und die Unterstützungen, die da sind und nutzen wir sie. Rücken wir enger zusammen. Und seien wir dann auch klug: In Zukunft können junge Pfarrerinnen und Pfarrer sich die Gemeinden aussuchen. Sie werden Ausschau halten nach klaren Arbeitsstrukturen und nach Pfarrhäusern, die gute Wohnqualität bieten. Diesbezüglich haben wir noch Arbeit vor uns. Daneben sorgen wir für ein gutes kollegiales Miteinander und Füreinander im Dekanat.

Und schauen wir auch über den Tellerrand: Es geht nicht nur um uns. Wir haben einen Auftrag in der Gesellschaft, in der wir leben. Die Schönheit unserer Region wird ein Übriges tun. Es kann sein, dass der Weg eine Weile schwierig wird. Aber ich habe Vertrauen, dass wir gemeinsam und mit Gottes Hilfe neue Wege finden. Sagt man nicht immer, auf dem Land sei der Zusammenhalt noch größer als in den Städten? Das können wir jetzt mal unter Beweis stellen.

Vielen Dank für das Gespräch Frau Weigel! 

(Die Fragen stellte Bernd-Christoph Matern)