Gott neu entdecken und Bibel als literarischen Urknall verstehen Drucken E-Mail

thumb_1mainz311016_volkerrahnMAINZ/RHEIN-LAHN. (2. November 2016) Anlässlich des Auftaktes der Feiern zu 500 Jahren Reformation hat der Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Volker Jung, die friedensstiftende Rolle der Religionen in der modernen Gesellschaft hervorgehoben. Zwar werde der Glaube immer wieder in Verbindung mit gewaltsamen Auseinandersetzungen gebracht, sagte Jung am Montagabend im Reformationsgottesdienst in der Mainzer Christuskirche.

Die verheerenden Kriege etwa infolge der Reformation oder die aktuellen Taten religiöser Extremisten stehen nach Ansicht des Kirchenpräsidenten aber nicht im Einklang mit Gottes Willen. „Für mich ist sehr eindeutig: Es gibt keine Gottesliebe ohne Menschenliebe. Und es gibt deshalb auch keine Rechtfertigung, im Namen Gottes Krieg gegen andere zu führen“, so Jung.

Das bevorstehende Reformationsjahr biete eine gute Chance, „Gott neu als Gott der Liebe und des Friedens zu entdecken“. Jung: Moderne Höllenängste überwinden Auch Martin Luther habe vor 500 Jahren Gott neu entdeckt und damit die Reformation ausgelöst, so Jung weiter. In der hessen-nassauischen Kirche sei das Jubiläumsjahr der Reformation deshalb unter das Motto „Gott neu entdecken“ gestellt worden.

Auch Menschen, für die der Glauben im Leben kaum mehr eine Rolle spiele, eröffne sich eine Möglichkeit, sich Gott zuzuwenden. So könnten moderne „Höllenängste“ wie einst bei Martin Luther durch den Glauben an einen liebenden Gott überwunden werden. Als Beispiele nannte Jung etwa die Furcht zu versagen oder von anderen nicht anerkannt zu werden. Der christliche Glaube verweise darauf, „als Mensch viel mehr zu sein, als das, was du zustande bringst“. In Gottes Augen bleibe jeder ein „geliebtes Kind - mit den Erfolgen, aber auch mit den Niederlagen, ja sogar in den Trümmern deines Lebens“, sagte Jung.

In seinem Festvortrag zum Reformationstag bezeichnete der Literaturkritiker und ARD-Fernsehmoderator Denis Scheck die Übersetzung der Bibel durch Martin Luther als „literarischen Big Bang“. Sein Werk sei ein „Urknall, dessen Wellen noch deutlich bis in unsere Gegenwart pulsieren, ein Schöpfungsakt von bis heute blendender Brillanz und Genialität“. Dem Übersetzer Martin Luther seien Wortneuschöpfungen wie das „Machtwort“ und der „Schandfleck“, der „Gewissensbiss“, das „Lästermaul“ oder die „Feuertaufe“ ebenso zu verdanken wie die Redewendungen „ein Herz und Seele“, „Perlen vor die Säue werfen“, „auf Sand bauen“, „die Zähne zusammenbeißen“ oder „ein Wolf im Schafspelz“.

Die Luther-Bibel markiere zugleich den Beginn des Neuhochdeutschen als Literatursprache. Es sei eine Besonderheit des Deutschen, dass eine literarische Übersetzung die Sprache geprägt habe. Seinen Beitrag hatte Scheck selbst unter ein Zitat von Martin Luther gestellt: „Das Wort sie sollen lassen stahn und kein‘ Dank dazu haben“.

In seinem Grußwort zum Reformationstag erklärte der Diözesanadministrator des Bistums Mainz, Dietmar Giebelmann, dass die weltweiten Herausforderungen dazu mahnten, das Trennende zwischen den Kirchen zu überwinden. Dagegen solle „das Miteinander, wo immer es möglich ist, gestaltet und darüber hinaus auch gewagt“ werden. Es sei ein positives Zeichen, dass das 500. Jahr der Reformation von der katholischen und der evangelischen Kirche in Gestalt eines „gemeinsamen Christusjahres“ begangen werden könne. Auf diese Weise richteten beide Kirchen ihr Augenmerk „auf die einende Mitte: Christus.“ Giebelmann: „Was mit dem Jahr 1517 begann, war, wenn es recht betrachtet wird, nicht das Gründen einer neuen Kirche, sondern die Erneuerung der Kirche an Haupt und Gliedern, damit die Kirche tiefer Kirche Jesu Christi wird“.

In seiner Moderation des Festaktes ging der hessen-nassauische Präses Ulrich Oelschläger auf die besondere Verbindung von Mainz und Martin Luther ein. Es sei heute umstritten, ob der Reformator seine 95 Thesen wirklich an die Tür der Wittenberger Schlosskirche angeschlagen habe. Unumstößlich dagegen aber sei, dass Luther dem Erzbischof von Mainz die Thesen 1517 per Post zugesandt habe. So habe das Mainzer Bistum zu den ersten gehört, die die neuen Lehren Luthers zur Kenntnis erhielten. Mainz sei zudem die Stadt des Buchdrucks. „Ohne ihn hätte es die Reformation in dieser Form nicht gegeben“, so Oelschläger.

Luthers Bibelübersetzung habe das Herz und den Geist der Menschen seiner Zeit getroffen. Sie hätten sich um die Drucke regelrecht gerissen. Diese Begeisterung sei heute nur vergleichbar mit dem „Erstverkaufstag eines neuen i-Phone-Modells“.

Den Festgottesdienst gestalteten neben Kirchenpräsident Volker Jung unter anderem der Propst für Rheinhessen, Klaus-Volker Schütz, die Mainzer Pfarrerin Bettina Klünemann, Mitglieder der Christuskirchengemeinde und ökumenische Gäste. Daneben waren der Bachchor und das Bachorchester Mainz mit Werken von Johann Sebastian Bach zu hören. Die Orgel spielte Prof. Hans-Joachim Bartsch. Bereits im Vorfeld hatten rund 500 Gäste aus Gesellschaft, Kirche und Politik ihr Kommen zugesagt. Das SWR-Fernsehen schaltete während seines Abendprogramms live in den Festakt. Volker Rahn

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ARD-Fernsehmoderator Denis Scheck (links) hier mit Kirchenpräsident Volker Jung bezeichnete die Reformation als einen "literarischen Big Bang". Foto: Volker Rahn