In Stuttgart faszinierendes Fest und faire Debatten miterlebt Drucken E-Mail

thumb_1a-kt15-rl-blaesertn050615_becrimathumb_1a-kt15-absgt070615vv_co-becrima-STUTTGART/RHEIN-LAHN. (10. Juni 2015) Mit bewegenden Eindrücken, jeder Menge Denkanstößen und manchem Sonnenbrand sind evangelische Christen der Rhein-Lahn-Dekanate vom Deutschen Evangelischen Kirchentag in Stuttgart nach Hause zurückgekehrt. Motivation und Anregung für die Arbeit in der eigenen Gemeinde, den Glauben und das Handeln brachten die Gäste aus dem Nassauer Land von ihrem Besuch im Schwabenland mit.

thumb_1a-rl-kt15-blaeser0506bf_becrima-"Es ithumb_1geissler_co-becrima-st einfach immer wieder schön“, sagte Anja Beeres aus Obertiefenbach, Vorsitzende der Synode des evangelischen Dekanats St. Goarshausen, warum sie sich seit Jahren keinen Kirchentag entgehen lässt. „Es tut gut, über den eigenen Tellerrand zu gucken.“ Die Fülle an Informationen, Hoffnungen und Ideen in Glaubensfragen empfindet sie als enorme Bereicherung. „Ich bin bei Kirchentagen wie ein Schwamm, besuche eher zwölf als nur zwei Veranstaltungen am Tag.“

thumb_1a-kt15massemarkt040615_becrima-Impulse für den eigenen Glauben und die eigene Meinungsbildung insbesondere bei den morgendlichen Bibelarbeiten mit manchmal sehr prominenten Menschen begründen die schon traditionelle Kirchentagspräsenz von Heidi Jung aus thumb_1a-kt15pochormineral1_becrima-Dausenau mit ihrem Mann Gerd. „Aber auch die vielen kleinen Angebote haben ihren Reiz.“ Jung ist seit Jahrzehnten im Dekanat Nassau Ansprechpartnerin für den Kirchentag. Zusammen mit Matthias Metzmacher hatte Jung auch diesmal die Gemeinschaftsfahrt nach Stuttgart für Leute aus den Dekanaten Nassau und St. Goarshausen vorbereitet. Sie und ihr Mann gehören außerdem zur großen Blechbläser-Familie des Kirchentages. „Das ist einfach schön und macht großen Spaß, thumb_1merkel_co-becrima-bei den Kirchentagen mitzumachen und mit so vielen Gleichgesinnten auch öffentlich aufzutreten.“ In diesem Jahr stand er unter dem Motto eines biblischen Psalmwortes „...damit wir klug werden!“. Untergebracht sind die 50 Busreisenden in einer Schule direkt im Stadtzentrum. Christine Schreiner aus Miehlen fuhr zum ersten Mal mit zu einem Kirchentag. „Das ist wie ein großes Abenteuer“, lacht sie, „aber mir hat es super gefallen“, lautet ihr Fazit. Respekt vor dem 2000 Punkte großen Programm hat die Prodekanin des Dekanats Diez Meike Kniese, die mit ihrer Familie in Stuttgart war. „Wir haben noch nicht mal alles abgehakt, was wir uns eigentlich vorgenommen hatten.“

thumb_1a-kt15060615jugendrolli_becrima-Mit offenen Augen spazierte Torsten Knüppel, Dekanatsjugendreferent des Dekanats Diez, bei praller Sonnenhitze von knapp 30 Grad über die vielen Veranstaltungsorte. Ob in der Stadt oder beim Markt der Möglichkeiten im Neckarpark – überall gab es Trinkwasserstationen, um kostenlos den Flüssigkeitshaushalt des Körpers bei Laune zu halten. „Beim Gang über den Jugend-Bereich im Neckar-Park hab ich mir Anregungen geholt“, so der passionierte Motorradfahrer, der sich den Motorrad-Gottesdienst auf dem Cannstatter Wasen nicht entgehen ließ. „Das ist Gänsehaut pur“, schwärmte Horst Unkelbach aus Lahnstein vom Eröffnungsgottesdienst vor dem Stuttgarter Schloss. „Allein dafür hätte sich die Reise schon gelohnt.“ thumb_1a-kirchentag_2015_stuttgartols

Diese hatte er für knapp 20 Personen der evangelischen Kirchengemeinde Oberlahnstein organisiert. In Ditzingen fand die Gruppe Quartier und lernte viele nette Schwaben kennen. Dort waren die Lahnsteiner auch von einem bewegenden Abendmahlsgottesdienst angetan. „Wann hat man außerdem schon mal Gelegenheit, Diskussionen mit Persönlichkeiten wie dem Bundespräsidenten zu verfolgen oder die erfrischenden Gedanken von Margot Käßmann zu thumb_1a-kt15040615kaesmann1_becrima-erleben!“, spielt Unkelbach auf die hohe Zahl politischer und kirchlicher thumb_1kaessmann_co-becrima-Prominenz in Stuttgart an.

Käßmann selbst warb als Botschafterin für das Reformationsjubiläum 2017 nicht nur um die Auseinandersetzung mit dem protestierenden Mönch. „Luther ist wichtig, aber nicht nur; es geht um die Reformation insgesamt!“ Was sie an Luther bewundere, sei dessen Mut und Sprachkraft, auch wenn die nach heutigem Verständnis völlig „politically incorrect“ gewesen sei. Nach wie vor aktuell bleibe er darin, mitten in der Welt „aus seinem Glauben Konsequenzen“ gezogen zu haben. An anderer Stelle rief sie in einer Bibelarbeit dazu auf, „die Logik des Mammon, des Marktes zu durchbrechen“ und stattdessen eine „Ethik des Genug“ zu entwickeln.

„Wohlstand sollte man eher am freudigen Leuchten der Augen definieren als am thumb_1a-kt15-050615bittlichter_becrima-thumb_1hirschhausen_co-becrima-Wachstum des Bruttosozialproduktes“ – das war etwa ein Satz, den Pfarrer Matthias Metzmacher, Pfarrer für gesellschaftliche Verantwortung, von einer Diskussion mit Joachim Gauck mitnahm. „Und leuchtende Augen gab es hier reichlich zu sehen“, so Metzmacher. Das lag nicht nur an vielen der mehr als 2000 Programmpunkten, die dort an zirka 200 kleinen und großen Veranstaltungsorten angeboten wurden. Jeden Abend sorgte an vielen Plätzen in der Stadt ein Lichtermeer für eine einzigartige Atmosphäre, die jeder Kirchentagsteilnehmer nicht missen möchte.

thumb_1a-kt15060615annan_becrima-thumb_1a-kt15-050615merkel_co-becrima-thumb_1a-kt15040615geissler_becrima-thumb_1a-kt15-050615dreyer_co-becrima-Friedensnobelpreisträger Kofi Annan, Angela Merkel, Frank-Walter Steinmeier und andere Regierungsvertreter aus Bund und Land debattierten in Stuttgart auch über Fluch und Segen neuer Medien, Konflikte in der Welt und deren Vermeidung und die zunehmenden Flüchtlingsströme, und sie gaben Einblick, welche Rolle ihr eigener Glaube für sie und in der Politik spielt.

thumb_aa-1kt15versoehnung_co-becrima-thumb_1steinmeier_co-becrima-In neuer Funktion begegneten die heimischen Christen einem alten Bekannten: Sigurd Rink, ehemaliger Propst für Süd-Nassau, feierte in Stuttgart als evangelischer Militärbischof einen überfüllten Bittgottesdienst für den Frieden, diskutierte über Gewalt als „Ultima Ratio“ und auf sehr bewegende Weise über Schuld und Versöhnung in internationalen Konflikten mit einer Überlebenden des Ruanda-Genozids. In Fällen wie diesen oder auch dem Völkermord an Armeniern halte er es „für menschenunwürdig“, zu sagen, es dürfe auf gar keinen Fall Gewalt angewandt werden, erklärte deren Ehemann Dr. Wolfgang Reinhard. „Kriege sind eine Geißel der Menschheit“, stellte der Bischof fest.

thumb_1a-kt15gruen_co-becrima-thumb_1a-kt15040615bittling_co-becrima-Mucksmäuschenstill war es, als Pater Anselm Grün vor tausenden Menschen auf dem Stuttgarter Marktplatz über Unterschiede zwischen klug und weise sprach und über die Bedeutung von Gebeten. Es ist beeindruckend, wie Grüns Art und Stimme für so viele hörende Ohren sorgte, wie das sonst kaum bei den großen Veranstaltungen unter freiem Himmel mitten in der baden-württembergischen Metropole der Fall war. Welche Kraft auch Stille erzeugen kann: Hier war es hautnah zu erleben. Für passende Musik sorgte Clemens Bittlinger und seine Band, der in einem seiner Songs davor warnte, das Leben nicht völlig ins Internet zu verlagern, sondern auch Ortschaften am Leben zu erhalten.

Publikumsmagnthumb_1a-kt15-050615bourani1_co-becrima-eten für die jungen Besucher aus dem Kreis waren die Wise Guysthumb_1a-kt15-0506bourani_co-becrima-_2 und Andreas Bourani, die an zwei Abenden mehr als 50.000 Fans mit ihrer Musik in ihren Bann zogen und sowohl in Partylaune als auch zum Schwelgen brachten. Einen besonderen Gruß entrichteten die jungen und jung gebliebenen Leute den Fahrgästen der U-Bahn 11, die die Menschenmassen zwischen dem Neckarpark und der Innenstadt hin und her transportierte. Einen der populärsten Bourani-Songs hätte man auch in „Ein Hoch auf die Feuerwehr!“ abwandeln können, denn diese sorgte mit einem mit Löchern präparierten Wasserschlauch für eine willkommene erfrischende Dusche auf dem heißen Konzertgelände der Canstatter Wasen, den sie erst wieder einpackten, als über der Bühne die gleißende Sonne langsam zu Bouranis tollen Klängen unterging.

thumb_1a-rl-kt15cremersflacht_becrima-Ganz besonders bewegt zeigte sich Pfarrer Daniel Cremers aus Flacht über die thumb_1wulff_co-becrima-Bibelarbeit eines anderen „Promi“. Ex-Bundespräsident Christian Wulff griff einen Bibelvers über das Auf und Ab im Leben auf. „Das hat er toll hinbekommen“. Bereichernd fand der Theologe auch einem Vortrag mit dem Titel „Ich bin nicht religiös, ich bin normal“, in dem es um die Glaubensvermittlung in einer sich säkularisierenden Gesellschaft ging. Ehefrau Pfarrerin Esther Reininghaus-Cremers war einmal mehr von der Vielfalt und Breite der Themen angetan. Friedensethik, Gottesdienstgestaltung, die künftige Rolle im Pfarramt – das Theologen-Ehepaar nutzte die Tage zur Horizonterweiterung und holte sich am Neckar viel Input für ihre kirchliche Gemeindearbeit an der Aar.

thumb_1a-kt150606hirschflach_co-becrima-thumb_1a-kt150606hirschall_co-becrima-Wer früh genug aufgestanden war und viel Geduld in einer langen Warteschlange zeigte, konnte noch einen der knapp 10.000 Sitzplätze in der Martin-Schleyer-Halle für die Bibelarbeit mit Eckart von Hirschhausen ergattern, einem der beliebtesten Dauergäste des Kirchentages. Dieser rief dort zum sinnvollen Umgang mit Zeit auf: „Man hätte die Liebe seines Lebens treffen können, hätte man nicht gerade thumb_1a-kt15040615fraumahlalle_becrima-aufs thumb_1bedford-strohm_co-becrima-Handy geschaut, um zu sehen, wie das Wetter wird an einem Ort, wo man gar nicht ist.“ Einige mitgereiste Frauen genossen ein ganz außergewöhnliches Abendmahl mit der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer als Tischrednerin in der Stuttgarter Leonhardskirche, in der die Damen von fröhlichen Clowns bedient wurden. An anderer Stelle diskutierte Dreyer mit dem Publikum über Nachbarschaftshilfen und Lebensformen im Alter, einem Thema, dessen sich die rheinland-pfälzische Landesregierung schon seit langem angenommen hat. Die Ministerpräsidentin: „Ich sehe es als Verpflichtung an, dass jeder alte Mensch sagen kann: Ich werde gut alt in unserem Land.“

thumb_1a-kt15hanswalter2_becrima-thumb_1a-rlkt15vivavoce_becrima-Seinen Spaß hatte Hans Artur Walter aus Dausenau, als er mit seiner Frau den Samstagabend bei schwungvoll jazzigen Klängen auf dem Stuttgarter Schlossplatz ausklingen ließ; vorher hatte er sich das wichtigste Möbelstück eines jeden Kirchentages gesichert, einen Papphocker sowohl als praktischen Begleiter als auch als Erinnerungsstück an die „bereichernden Tage“ in Stuttgart. Die gab es überall für einen Euro das Stück zum Mitnehmen. Klassische Klänge faszinierten Mitreisende in der Stiftskirche. Wahre Begeisterungsstürme löste das Quintett „Viva Voce“ aus, einer vieler hochkarätiger Musikbeiträge im Kulturprogramm des Protestantentreffens. „Das war ein Gesang, der wirklich unter die Haut ging“, schwärmte Wolfgang Obel aus Dachsenhausen, als er aus dem Gotteshaus kam und Richtung Abendsegen zum Marktplatz spazierte.

thumb_1a-rl-kt150706blaesAS_becrima-thumb_1a-kt15-050615absuhoch_co-becrima-Er selbst hatte die Trompete im Reisegepäck und erfreute mit Mitgliedern der evangelischen Posaunenchöre Dachsenhausen, Dausenau und Eltville die Passanten bei drei öffentlichen Auftritten im Stadtgebiet am Marienplatz, am Rothebühlplatz, wo Stuttgarts große Einkaufsmeile, die Königstraße, beginnt, sowie an den Mineralbrunnen im unteren Schlossgarten. Beim Abschlussgottesdienst am Sonntagmorgen waren die Blechbläser wieder dabei. „Das ist einfach ein unvergleichliches Gefühl, hier mitzuspielen“, sagte Martina Adler aus Dahlheim. 4000 Bläserinnen und Bläser begleiteten den Gemeindegesang auf dem mit knapp 100.000 singenden Menschen gefüllten Canstatter Wasen. Und viele Gäste von Rhein, Lahn und Aar meinten trotz teils langer strapaziöser Heimfahrt: „2017 in Berlin sind wir wieder mit dabei!“. Bernd-Christoph Matern

Einen Beitrag zur Eröffnung des Kirchentages finden Sie hier

Fotos: Bernd-Christoph Matern