BORNICH/RHEIN-LAHN. (27. Mai 2016) Das soziale Miteinander steht seit mehr als zehn Jahren im Mittelpunkt der Initiative 55 plus-minus im jetzigen evangelischen Dekanat Nassauer Land. Nun beschreitet die Initiative neue Wege, um Menschen miteinander in Kontakt und in Bewegung zueinander zu bringen und einer Vereinsamung auf dem Land vorzubeugen. In Kooperation mit Informatikern und der FernUni in Hagen entwickelt sie derzeit eine Software für mobile Geräte.
Ein ganztägiger Workshop in Bornich lieferte den technischen Experten ganz praktische Anhaltspunkte dafür, was die neue Applikation (kurz: App) können soll. Konkret wollten die Fachleute erfahren, welche Anforderungen die App erfüllen muss, damit sie Handy-, Tablet- und Computernutzer anwenden. „Unsere Studenten haben in der Programmierung schon gute Vorarbeit geleistet; aber jetzt geht es um den Feinschliff und ganz praktische Anwendungsbeispiele“, erklärt Dr. Till Schümmer, Forschungsgruppenleiter für Community-Systeme an der Fernuniversität in Hagen, den Initiative-Sprecher Dieter Zorbach zur Kooperation für das Projekt gewinnen konnte.
So war der Tag unter anderem von Rollenspielen geprägt. Einmal sollte über die App eine Veranstaltung auf die Beine gestellt werden, ein anderer Dorfbewohner suchte einen Gleichgesinnten für Radtouren und in der dritten Gruppe wurde das Szenario durchgespielt, wenn technische Hilfe erforderlich ist. Den Programmierern wurden dabei auch Befindlichkeiten vermittelt.
Welche Charaktere gibt es im Dorfleben?
Welche Charaktere gibt es in einem Dorf? Was sagen Nachbarn, wenn man bei so etwas mitmacht? Wie lässt sich die Angst vor Sicherheitslücken in der modernen Technik überwinden, die die Privatsphäre berühren? Wie lassen sich bewusst zurückgezogene Einwohner für die Technik gewinnen? Werden die bekannten „Kümmerer“ nicht überfordert? Ließe sich ein Notebook vielleicht beim Bäcker platzieren, um täglich sehen zu können, wer gerade was ganz aktuell sucht? Das waren nur einige vieler Fragen, die im Workshop von den 16 Teilnehmern aus der ganzen Region zwischen Bad Ems und Weisel diskutiert wurden.
Sie sollen jetzt bei der Programmierung der App berücksichtigt werden und für eine benutzerfreundliche Handhabung sorgen. Zettel mit Bedenken und Hoffnungen füllten am Ende des Tages zwei Tafeln, wobei die Zahl der Hoffnungen überwiegte.
„Mein Dorf 55 plus – Trotz Alter bleibe ich!“. So heißt der Arbeitstitel für die App, mit der der Grundgedanke der Initiative quasi ins neueste technologische Zeitalter transformiert wird. Immer weniger Angehörige blieben noch vor Ort, so Dieter Zorbach. Neue Wege seien deshalb für ein soziales Miteinander notwendig, um nicht zu vereinsamen. „Es geht auch hier um die Frage, wie wir helfen können, dass wir im Alter möglichst lange selbstbestimmt und selbstbewusst zu Hause leben können“, erklärt Zorbach. Das tue ganz konventionell ja bereits die Mitmachbörse für soziale Kontakte der Initiative. „Es wächst aber auch die Gruppe der Seniorinnen und Senioren, die gekonnt und gerne mit den modernen Medien umgehen“, so der Initiative-Sprecher.
Für diese Zielgruppe beziehungsweise die „Kümmerer im Umfeld“ alt gewordener Bürger solle die App zu einem alltäglichen und hilfreichen Werkzeug werden. Im Gegensatz zu den bestehenden sozialen Netzwerken soll die neue meinDorf55plus-App einen vertrauensvollen Austausch vor Ort ermöglichen. „Jeder Schritt, den Zusammenhalt in unserem Dorf zu sichern und zu fördern, ist ein ganz wichtiger“, sagte Bornichs Ortsbürgermeisterin Karin Kristja bei einem Besuch des Workshops. „Da wird uns hoffentlich auch die App weiterhelfen.“
Ähnlich sieht das auch der Bürgermeister der Verbandsgemeinde Nastätten Jens Güllering: „Einmal mehr stellt die Initiative mit dem Projekt unter Beweis, wie mit ganz praktischen Ansätzen das Lebensumfeld kontinuierlich verbessert werden kann, um die Menschen an die Region zu binden“. Die vermeintlichen „Nachteile“ des ländlichen Raumes könnten auch durch den technischen Fortschritt ausgeglichen werden.
So sehen die nächsten Schritte aus: Die von den Studierenden entwickelten „losen Bausteine“ für die App müssten jetzt mit „Mörtel“ dazwischen befestigt werden, so Till Schümmer. Wenn sich dann zwei bis drei Dörfer finden lassen, könne die App nach den Sommerferien auch erstmals in den Liveeinsatz gehen. „Das ist auch für uns ein ergebnisoffener Prozess“, sagt der Informatiker und hofft für das bundesweite Pilotprojekt auf viele Impressionen von den beteiligten Mitstreitern der Initiative. Als Symbol für den wachsenden Baum der Dorfgemeinschaft gab er den Teilnehmern ein grünes Blatt mit auf den Weg.
DRIN fördert Projekt
Unterstützung gibt es auch von der evangelischen Landeskirche und der Diakonie in Hessen und Nassau. Die haben nämlich das Förderprojekt DRIN ins Leben gerufen. Dabei handelt es sich um die Abkürzung für „Dabei sein – Räume entdecken – Initiativ werden – Nachbarschaft leben.“ Das Projekt bietet die Chance, dass Kirchengemeinden sich als Mitgestalterinnen des Sozialraumes entdecken und gemeinsam mit anderen Einrichtungen niedrigschwellige Hilfsangebote und Nachbarschaftsnetzwerke entwickeln. Bernd-Christoph Matern
Zum Foto (rechts oben):
Till Schümmer (links) und Dieter Zorbach begrüßten im Bornicher Pfarrhaus die Interessenten, die an der Entwicklung der neuen App fürs soziale Miteinander im Dorf mitwirken möchten. Fotos: Matern
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