Margot Käßmann in Bad Ems: Christliche Werte nutzen der Gesellschaft Drucken E-Mail

thumb_1a-mkaesmann120914saal_becrima-BAD EMS/RHEIN-LAHN. (15. September 2014) „Der Blick auf die Gemeinschaft ist verloren gegangen.“ Das ist nur eine vieler Thesen, die am Wochenende die Botschafterin der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) für das Reformationsjubiläum 2017, Professorin Dr. Dr. Margot Käßmann in Bad Ems äußerte. Die prominente Rednerin sprach auf Einladung des Diakoniewerks Friedenswarte, die dieses Jahr an ihr 125-jähriges Bestehen erinnert.

Im voll besetzten Marmorsaal der Kreisstadt zeigte die prominente Rednerin pointiert auf, welche Bedeutung christliche Werte in der heutigen Gesellschaft und für das Zusammenleben der Menschen haben können, und zwar nicht nur für Christen, sondern auch für Menschen anderer Religionen oder für Atheisten. So deklinierte sie etwa die zehn Gebote als Werte-Grundlage der deutschen Verfassung durch. „Das sind Werte, die können wir auch mit Menschen teilen, die nicht glauben.“ Obwohl Zweidrittel der Deutschen den zehn Geboten zwar hohes Gewicht beimessen, würde die Mehrheit scheitern, wenn Günther Jauch sie bei der Millionen-Frage auffordern würde, sie aufzuzählen.

thumb_1a-mkaesmann120914quer_becrima-Respekt vor dem Alter zu haben, neue Fantasien für den Frieden zu entwickeln oder auch das mit Ehe-Scheidungen verbundene Leid zu verhindern – das alles seien doch keine verstaubten Bibelsprüche, sondern Werte, die einer Gesellschaft zu Gute kommen wie auch das von Nächstenliebe geprägte Engagement der 125-jährigen Friedenswarte. Die Menschen sehnten sich ebenso nach Wahrheit, die das 8. Gebot fordere. „Und was ist eine Welt, die nicht mehr zur Ruhe kommt?“, interpretierte Käßmann das 3. Gebot ins Heute hinein.

Das ist die Stärke der Referentin: Sie macht verständlich deutlich, wie die uralten biblischen Worte den Menschen heute Antworten auf ihre Wünsche und Lebensfragen geben können. Die Egomanie, vor dem das 3. und 10. Gebot bewahren wolle, greife immer stärker um sich. „Obwohl es ein negativer Begriff ist, hat sich Geiz leider zu einem Wert dieser Gesellschaft durchgesetzt“, sagte die Theologin und forderte einen „Kreislauf der Barmherzigkeit“ anstatt das Miteinander der Egomanie zu opfern. „Es heißt ja nicht: Selig sind die Schnäppchenjäger, sondern selig sind die Barmherzigen“, verbindet Käßmann das Heute mit der Bibel. Statt Geiz und Gier bedürfe es einer „Ethik des Genug“.

Es seien nicht nur böse Börsianer, die nur an ihren eigenen Vorteil denken. „Wer glaubt denn ernsthaft, dass in einer Tiefkühl-Lasagne für 1,29 Euro das Fleisch von glücklich lebenden Rindern verarbeitet wurde?“, stellt sie aktuelle Bezüge zum Pferdefleisch-Skandal her. Selbst das 1. Gebot „Du sollst keine anderen Götter neben mir haben“ wird da zeitnah übersetzt: „Der Philosoph Descartes sagte noch ,Ich denke, also bin ich'; heute gilt scheinbar ,ich kaufe, also bin ich' oder noch schlimmer ,ich bin im Fernsehen, also bin ich'“. Aber Jeder sei auf den Anderen angewiesen, in der Kindheit wie im Alter. Die Stärke in den Lebensjahren dazwischen verpflichte zu einem verantwortlichen Umgang mit Reichtum: „Geber sollten dankbar sein, geben zu dürfen. Das Wirtschaften ist für das Miteinander der Menschen da.“

Käßmann machte anwesenden Christen Mut, sich nicht in fromme Ecken zu verkriechen. Christliche Werte nutzten der Gesellschaft und dem Miteinander. „Viele Menschen möchten mit diesen Freiheitswerten leben.“ Auch wenn die Berichterstattung darüber etwas disproportional ausfalle: „Immerhin gehen jeden Sonntag noch rund fünf Millionen Menschen in Gottesdienste, aber nur 700.000 in die Bundesliga-Stadien.“

thumb_1a-mkaesm120914musiksaal_becrima-Motivierend seien auch aktuelle Umfrage-Ergebnisse, die Dr. Manfred Unglaub, Kuratoriumsvorsitzender der Stiftung Friedenswarte, schon bei seiner Begrüßung erwähnte. Danach stehen nicht mehr Einkommen und Auto, sondern Familie und Freunde an der Spitze der wichtigsten Werte junger Menschen.

Für eine brillante musikalische Umrahmung des lebendigen Vortrags thumb_1a-mkaesm120914autogramme_becrima-sorgte das Ensemble „I Gusti Diversi“ aus Frankfurt auf historischen Instrumenten. Stiftungsvorsteher Pfarrer Wilhelm Schmidt dankte der Referentin und den Musikern für ihre Vorträge. Die Besucher traten nicht nur mit vielen Denkanstößen den Heimweg an, mancher ergatterte anschließend auch noch ein Autogramm des populären Bad Emser Gastes. Bernd-Christoph Matern