Trotz Worten des Hasses: Luther nicht für Rassismus missbrauchen Drucken E-Mail

thumb_1a-luj250917saalflach_becrima-NASTÄTTEN/RHEIN-LAHN. (25. Oktober 2017) In Anlehnung an Luthers judenfeindliche Schriften ging eine rechtsextremistische Partei vor der Bundestagswahl auf Stimmenfang. Dekanin Renate Weigel stellte jetzt in einem Vortrag über die Beziehung des Reformators zum jüdischen Glauben klar: „Rassist war Luther ganz sicher nicht.“

Schwer zu ertragen waren die Zitate, die Weigel dem Publikum im Gemeindehaus der evangelischen Kirchengemeinde Nastätten zumutete. Sie las die Einleitung und den „judenfeindlichen Maßnahmenkatalog“ aus Martin Luthers Schrift „Von den Juden und ihren Lügen“ (1543) vor. „Ich finde, dass man diese Texte im Reformationsjubiläumsjahr ansprechen muss und einmal wahrnehmen sollte“, so die Theologin. „Martin Luther war des Hebräischen mächtig und theologisch gebildet; die Schriften des AltenTestaments lagen ihm am Herzen. Woher der abwertende Ton?“, fragte sie.

Juden hätten nach Luthers Auffassung das Alte Testament immer falsch verstanden. Sie fänden Christus nicht darin. Deshalb sei ihre Auslegung voller „Lügen“. Es sei die viel beschthumb_1a-luj250917weigelhoch_becrima-worene Christuszentriertheit Luthers gewesen, die ihm den Blick für die Schönheit der hebräischen Poesie genommen hätte, für die üppige orientalische Erzählkunst, für die Selbstkritik der biblischen Autoren und nicht zuletzt für die großen verbindenden Themen Buße, Gnade und Treue Gottes, sagte die Referentin.

Dabei lebte zu Martin Luthers Zeit in Wittenberg kein einziger Jude. Auch sei nicht bekannt, dass er Kontakt zu einem jüdischen Gelehrten hatte. Stattdessen sei Luther von Judenfeindlichkeit geradezu umgeben gewesen. Weigel: „Juden wurden für alles Schlechte wie zum Beispiel den Ausbruch der Pest verantwortlich gemacht. Man beschimpfte sie als Christusmörder und Hostienschänder.“ Ein zuletzt wieder viel diskutiertes Juden verspottendes Relief an Wittenbergs Stadtkirche spräche Bände. „Niemand war in dieser Zeit für Juden, nicht einmal Luthers als gemäßigt geltender Freund Melanchthon.“ Judenfeindlichkeit sei „normal“ gewesen.

Die Dekanin ging der Frage nach, worin sich Luthers Haltung gegenüber den Juden im Laufe seines Lebens geändert habe. „Er glaubte, sie würden sich zu dem von katholischer Entfremdung gereinigten Christus bekennen.“ Und sie zeigte auf, worin sie konstant blieb: „Luther lehnte den genealogischen Hochmut der Juden ab. Er hielt die Auslegung der Schrift für falsch.“ Dann wagte Weigel eine Bewertung. Sie könne Martin Luther nicht davon freisprechen, den judenfeindlichen Bewegungen nach ihm und den Nationalsozialisten quasi die Textvorlagen für ihre zerstörerischen Taten geliefert zu haben. Noch die Deutschen Christen konnten sich 1936 auf ihn berufen. Dennoch habe Luther nie an die Tötung oder gar Ausrottung der Juden gedacht. Rassistisches Denken sei ihm völlig fremd gewesen. „Es ging ihm immer nur um das Evangelium.“

Dessen Siegeszug sah er durch vermeintliche und nicht belegte Missionsversuche der Juden gefährdet. „Deshalb setzte er sich für deren Ausweisung ein. Sie sollten nicht unter Christen, sondern unter ,Türken und Heiden' wohnen.“ Zum Schluss zeigte die Dekanin andere Wege des Umgangs mit den „jüdischen Geschwistern“ auf, zitierte aus dem Grundartikel der EKD und aus der Gedenkschrift zum Reformationsjubiläumsjahr. Diese Texte beriefen sich auf Paulus, der selbst Jude war. Paulus vertraute auf die „bleibende Erwählung“ der Juden, wie es in dessen Brief an die Römer heißt. „Und Gottes Treue ist es, die am Ende Juden und Christen rettet. Christus ist nicht der Trennende, sondern der Verbindende zwischen Juden und Christen“, sagte Weigel.

Sie verwies auf das Doppelgebot der Liebe: die Gottesliebe und die Nächstenliebe. Das wurde aus dem Alten Testament aufgenommen und von Jesus als das wichtigste Gebot benannt. „Das Wichtigste aus beiden Religionen teilen wir“, schloss die Dekanin. „Eigenartig, diese Geschichte aus dem Markusevangelium hat Martin Luther doch auch übersetzt.“

thumb_1a-luj250917gesang_becrima-Sehr stimmungsvoll hatte ein Gesangsensemble um Jochen Liefke aus Lahnstein den Vortrag und die sich anschließende Diskussion umrahmt. In den hebräischen Gesängen wurde das Ziel spürbar, das das Dekanat Nassauer Land mit seiner Veranstaltungsreihe „Gebet und Gedenken“ verfolgt: „Sich vor dem jüdischen Glauben tief zu verneigen und ihm Respekt zu erweisen“, so Weigel. Der von allen Gästen in Hebräisch gesungene jüdische Kanon „Hine ma tov“ beendete den Abend; was sinngemäß bedeutet: „Wohlan, gut ist‘s, wenn Brüder einträchtig beisammen siedeln.“ Die große Zuhörerschaft kam anschließend angeregt ins Gespräch. Nachdenklich stimmende Fragen und Gedanken kamen zur Sprache, die wohl auch noch den Heimweg begleiteten. Bernd-Christoph Matern

Die nächsten Termine in der Reihe „Gebet und Gedenken“ zum Reformationsjahr:
„Auf den Spuren jüdischen Lebens in Bad Ems“ ist am morgigen Donnerstag, 26. Oktober ab 14 Uhr ein Spaziergang durch die Kreis- und Kurstadt überschrieben, den der Historiker und Stadtarchivar Dr. Jürgen Sarholz leitet. Treffpunkt ist das Museum Bad Ems (Römerstraße 97).
Die Reihe endet mit einem „Gebet und Gedenken“ am Donnerstag, 9. November um 13.30 Uhr in Kooperation mit der jüdischen Gemeinde Koblenz an der jüdischen Trauerhalle des Bad Emser Friedhofs.

Zu den Fotos:
Was Luther bewegte, in solch verächtlicher Weise über das Judentum zu schreiben, darüber spekulierten nach einem Vortrag von Dekanin Renate Weigel auch die Gäste im evangelischen Gemeindehaus in Nastätten. Fotos: Matern